„Bleiben Sie gesund!“ – Ein Vormittag in Zeiten von Corona

Beim Einkauf in dem beschaulichen Städtchen im Bergischen Land, in dem ich teilweise lebe, treffe ich auf der Straße eine Bekannte. Wir bleiben stehen, treten dann beide einen Schritt zurück, verzichten aufs Händeschütteln, tauschen die neuesten Lokalinformationen über die Corona-Krise aus und verabschieden uns mit den Worten: „Bleiben Sie gesund!“.

Ich betrete den Supermarkt, gleich am Eingang fällt mir ein neues großes Anzeigeschild auf, das die Kunden gemahnt, gelassen und höflich zu bleiben. Ich spreche die Marktleiterin darauf an und sie erklärt, dieses Schild sei leider aufgrund unerfreulicher Szenen vor sich leerenden Regalen erforderlich geworden… Die Regale mit Nudeln, Mehl, Fischkonserven und natürlich Toilettenpapier sind tatsächlich leer! Die Kassiererinnen sind jetzt durch Plexiglasscheiben vor den Kunden geschützt, die zudem angehalten sind, möglichst nur noch mit Karte zu zahlen. Die Menschen an den Kassen halten Abstand zueinander.

Mein nächster Gang führt mich zur Apotheke, an der grelle Warnschilder Menschen mit Fieber und Erkältungssymptomen bitten, draußen zu bleiben. Eine Warteschlange erstreckt sich aus der Apotheke bis nach draußen. Ich will erst weitergehen, sehe dann aber, dass es eigentlich nur sieben Kunden sind, die aber so große Abstände zueinander einhalten, dass zwei der Wartenden vor der Apothekentür stehen. Beim Bäcker dieselbe Szene. Die Menschen betreten den Laden einzeln, es gibt allerdings keine Schilder, die um ein solches Verhalten bitten. An der nächsten Apotheke werden die Kunden sogar nur noch durch den Nachtschalter bedient.

Ich treffe zufällig eine Freundin. Wir bleiben stehen, verzichten auf die üblichen Küsschen rechts und links, treten stattdessen jeweils einen Schritt zurück und breiten in symbolischer Geste die Arme aus. Auch unser Gespräch dreht sich natürlich nur um Corona und die Problematik des deutschen Föderalismus, der ein einheitliches Vorgehen verhindert. Wir trennen uns, ohne die übliche Verabredung für einen gemeinsamen Kaffee oder ein Glas Wein zu treffen und verabschieden uns mit: „Bleib gesund!“

Wieder Zuhause mit meinen Einkäufen, setze ich mich an den Rechner und arbeite mich durch die neuesten Informationen der FU zum Corona-Virus und den Hinweisen unseres Fachbereiches zu möglichen Formaten der „Geisterlehre“ im kommenden Semester. Ein aparter Begriff. In meinem Postfach findet sich auch ein reger kollegialer Erfahrungsaustausch zu unterschiedlichen Formaten der Online-Lehre. Ich trage meine diesbezüglichen Überlegungen – innerlich stöhnend – in eine Liste ein. Ich fürchte, es wird aufwendig werden, die gesamte Lehre sinnvoll zu digitalisieren. Dann storniere ich Flüge abgesagter Konferenzen und weiterer Dienstreisen.

Mein Sohn ruft an und sagt sein Kommen zu meinem bevorstehenden Geburtstag ab: im Kollegenkreis seiner Freundin gibt es eine infizierte Person: Quarantäne. Das Virus rückt näher. Vielleicht macht es ja doch nicht vor meiner Tür halt?

Ich lese online verschiedene Zeitungen: in Berlin feiern Schüler Corona-Partys, während die Polizei die angeordneten Kneipenschließungen kontrolliert; Sylt wird von Urlaubern überrollt, die – wie auch an anderen innerdeutschen Urlaubsorten – gedrängt in den Kaffeehäusern sitzen und sich immun fühlen; Sylt macht jetzt dicht, ebenso wie andere ost- und nordfriesische Inseln; VW fährt die Produktion auf null; Macron spricht vom Krieg gegen die Pandemie; die Grenzen sind jetzt alle geschlossen, gestrandete Urlauber werden mit Maschinen der Lufthansa heimgeholt (allein 35.000 aus Ägypten); es formieren sich Hilfsbewegungen, die kranken, älteren und gefährdeten Personen in häuslicher Quarantäne Lebensmittel etc. bringen; die Essenstafeln für Bedürftige werden in den Städten jedoch nach und nach geschlossen; Berlin will ein Corona-Krankenhaus in Tempelhof errichten…

Ich muss raus. Ich fahre ein paar Kilometer ins Bergische hinein und wandere zwei Stunden durch die zauberhafte Landschaft, ohne dass mir jemand begegnet. Es ist ein wunderbarer Frühlingstag. An einem kleinen, gluckernden Bachlauf setze ich mich auf einen Baumstamm und genieße die wärmenden Sonnenstrahlen. Um mich herum summen erste Hummeln. Wie schön die Welt ist. Der Umwelt tut die Pandemie wahrscheinlich gut. Ich atme durch und genieße diesen Moment.

Auf dem Rückweg versuche ich auszuloten, was die jetzige Situation eigentlich in mir auslöst. Angst verspüre ich nicht, aber natürlich gräbt sich diese Krise tief ein, rückt zurecht, macht nachdenklich, scheidet Wichtiges von Unwichtigem, entschleunigt auf vielleicht hilfreiche Weise. Sie verändert den Weltbezug. Ein Lehrstück in Sachen affektiver Relationalität.