In der Interview-Reihe „Affective societies, affected scientists!“ beantworten Wissenschaftler*innen auf Stippvisite oder mit längerem Aufenthalt im Sonderforschungsbereich „Affective Societies“ Fragen zur Affektivität und Emotionalität in Wissenschaft und Gegenwart. Heute stellen wir Oliver Lubrich vor, der seit 2011 Professor für Germanistik und Komparatistik an der Universität Bern ist. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist die Reiseliteratur – etwa bei auswärtigen Zeugen in Nazideutschland („Reisen ins Reich“) oder bei Alexander von Humboldt (dessen „Sämtliche Schriften“ er herausgibt). Zusammen mit Katja Liebal und Thomas Stodulka untersucht er in einem interdisziplinären Projekt „Die Affekte der Forscher“ im Feld (gefördert von der VW Stiftung).
1. Welche Forschungsfrage bewegt Sie aktuell? Worin besteht ihre gesellschaftliche Bedeutung?
Die Frage: Wie verändert das Reisen das Denken? Die Relevanz: Wie beeinflusst die Begegnung mit fremden Menschen / anderen Kulturen uns selbst?
2. Die Relevanz welcher Emotion hat Sie in letzter Zeit überrascht?
Das Ressentiment, das im Wahlverhalten (Trump, Brexit, AFD, SVP, Türkei, Polen, Russland usw.) nicht nur Moral und Vernunft, sondern auch ökonomische Interessen zu dominieren scheint.
3. Gibt es ein affektives Movens oder auch affektive Schranken in Ihrer Forschungsarbeit?
Ich bin kein Feldforscher, sondern Literaturwissenschaftler. Mich bewegen nicht zuletzt ästhetische Emotionen in der Rezeption von Literatur und Kunst.
4. Welches Buch hat Sie zuletzt stark affiziert?
Zum Beispiel Etgar Kerets Plötzlich klopft es an der Tür, weil hier Terror, Gewalt und Absurdität unserer Zeit sehr klug mit feinem Humor vermittelt werden; oder Durs Grünbeins Die Jahre im Zoo, weil hier sehr poetisch, aber ohne Verklärung die Kindheit und Jugend in einer Diktatur geschildert wird.
5. Auf welche Stimmungen und / oder Gefühle würden Sie im Moment gerne verzichten?
Auf die sarkastische Belustigung und zugleich das Befremden und Grauen angesichts des Verhaltens rechtspopulistischer Politiker*innen und Wähler*innen.