„Wir brauchen die Ängstlichen, um Mehrheiten zu bewegen.“ Der Satz stammt aus der Parteitagsrede der ehemaligen AfD-Politikerin Frauke Petry vom Herbst 2015. Mittlerweile sitzt die Alternative für Deutschland als drittstärkste Partei im Bundestag. Was verrät uns diese Aussage also über das Verhältnis von Politik und Emotionen? Zum einen legt das Zitat nahe, dass die prominente Vertreterin der neuen Protestbewegung von rechts Angst als Emotion erkannt hat, welche die Menschen zum politischen Handeln bewegt. Zum anderen verweist ihr Appell darauf, dass sich politischer Widerstand zwar mitunter eruptiv und selbstförmig gestaltet. Häufiger liegt ihm aber strategisches Handeln zugrunde – was den bewussten Einsatz von Emotionen einschließt. Sie können bisweilen kommunikativ erzeugt und gestaltet, bewegt werden – und in politische Erfolge überführt werden.
Wie kann das gelingen? Emotionen sind keine rein leiblichen Gefühlserfahrungen. Sie entstehen nicht in einem abgeschotteten Inneren und kehren sich dann erst nach außen. Vielmehr ist einer ihrer wichtigsten Rohstoffe das Außen selbst, also die Alltagswelt und wie wir sie wahrnehmen und bewerten. Unterschiedliche Emotionen entstehen daher erst durch für sie typische Wahrnehmungen und Bewertungen. Es ist diese kognitive Struktur von Emotionen, welche die Philosophin Christiane Voss (2004) dazu veranlasst, kleine Erzählungen über die Welt als deren Grundeinheit zu begreifen. Und es ist dieser Aspekt ihrer kulturellen Produktion, der Emotionen auch strategisch vermittelbar macht, zum Beispiel über Erzählungen oder in Bildern. Erfolg hat, wem es gelingt, überzeugend die richtigen Deutungen zu vermitteln.
Wer sich vor diesem Hintergrund den rechtspopulistischen Diskurs vor Augen führt, der erkennt schnell, welche Erzählung sich Rechtpopulist*innen ausgesucht haben, um verbreitete Gefühle und diffuse Wahrnehmungen der Menschen auf eine mobilisierende Emotion hin zu kanalisieren: Es ist die Erzählung von einer angeblich drohenden „Islamisierung des Abendlandes“. Paradigmatisch hierfür steht der Name der Protestgruppe Pegida, in der sich „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ einsetzen. Nachfolgend möchte ich diese Erzählung genauer betrachten. Wenn auch mit austauschbaren Bezügen, verstehen es Rechtspopulist*innen darin ausgezeichnet, so möchte ich argumentieren, genau jene Wahrnehmungsmuster der Welt aufzurufen, die Angst erzeugen können.
„Wir“ und „die Anderen“
Angst kann in ganz unterschiedlichen Ausprägungen in Erscheinung treten. Folgt man dem Soziologen Max Dehne (2017), beinhaltet sie aber immer drei Elemente. Davon ist das erste ein wie auch immer ausgestaltetes wertgeschätztes Gut. Im rechtspopulistischen Diskurs übernimmt diese Funktion das kollektiv Eigene und beruht auf dem ideologischen Kerngedanken, es würden klar voneinander abgrenzbare Kollektive mit unterschiedlichen Eigenschaften existieren: „Wir“ und „die Anderen“. Rechtspopulist*innen rufen immer wieder diese Differenz strategisch auf – wobei von dem „Wir“ eine identitätsstiftende Wirkung ausgeht. In Texten, Reden und auf Demonstrationen unterscheidet es sich zwar teilweise erheblich. Es ist aber immer völkisch-nationalistisch konnotiert und erscheint von existentiellem Wert. Mal ist die Rede von den „Deutschen“, dem „Volk“, von „Europa“, von der „Heimat“, von „unserer nationalen Geschichte“ oder, wie bei Pegida, von dem „Abendland“. Auch ein liberal-demokratischer Gestus ist möglich: „unser Grundgesetz“, „unsere Demokratie“, „die Verfassung“.
„Islamisierung“ als Bedrohung
Der narrativen Struktur der Angst zufolge braucht es nun zweitens eine – oder besser noch mehrere Kräfte –, die das wertgeschätzte Gut mit hoher Wahrscheinlichkeit bedrohen. In der Erzählung von der „Islamisierung des Abendlandes“ wird hierfür die andere Seite des ideologischen Grundsatzes wirk- und bedeutsam: „Die Anderen.“ Sie dringen als Fremde oder als Migrant*innen in das Eigene ein und bedrohen es aufgrund ihrer gesetzten Andersartigkeit. In den Reden der Rechtspopulist*innen lassen sich hierzu vier Topoi finden.
Zunächst markieren Rechtspopulist*innen kulturelle Differenz. Als symbolische Träger dienen ihnen dazu vor allem der Islam und weit verbreitete antimoderne Stereotype über Muslim*innen. „Islam als Bedrohung“ zielt im Ergebnis stets darauf, Migrant*innen allein aufgrund ihres muslimischen Glaubens abzusprechen, sie könnten sich in die Gesellschaft positiv einbringen und Teil des demokratischen Prozesses werden. Beliebtes Thema derartiger Diskussionen sind Geschlechterbilder, etwa die Vorstellung von der Benachteiligung von Frauen. Aber auch historische oder theologische Denkfiguren werden aufgerufen, beispielsweise eine vermeintlich geschichtlich ausgebliebene Aufklärung in muslimischen Gesellschaften oder die muslimische Rechtsordnung der Scharia, die nicht mit dem deutschen Grundgesetz zu vereinbaren sei. Aber auch ein unterstellter Glaubensfanatismus oder die Missachtung der eigenen „deutschen“ Lebensweise sollen illustrieren, wie unterschiedlich und unvereinbar die Gruppe der Muslim*innen mit dem „Wir“ seien.
Um nun von der Andersartigkeit zur „Islamisierung“ überzuleiten, verbreiten Rechtspopulist*innen in einem zweiten Topos gezielt die Idee, das Eigene werde allein schon quantitativ durch die schiere Masse des Anderen bedrängt und in den Status einer Minderheit versetzt. Die Flüchtlingskrise von 2015 bot hierfür einen willkommenen Anknüpfungspunkt. In dramatisierenden Schilderungen, die an Naturkatastrophen erinnern und Migrant*innen metaphorisch geradezu entmenschlichen, aktualisieren sie die Idee der Masse immer wieder: Der AfD-Vorsitzende Alexander Gauland etwa bezeichnete Geflüchtete als „menschliche Überflutung“, sein Parteikollege Björn Höcke sprach von ihnen als einen „Asyl-Orkan„. Darüber hinaus reden Rechtspopulist*innen häufig vom demographischen Wandel. Sie zitieren unterschiedliche Fertilitätsraten von deutschen und muslimischen Frauen, um zu verbreiten, dass sich in Zukunft kulturelle Mehr- und Minderheitenverhältnisse statistisch gesehen umkehren würden. Musterhaft steht für diese Deutung Thilo Sarrazins im Jahr 2010 erschienenes Buch Deutschland schafft sich ab. Über weite Strecken greift er darin auf zweifelhafte, vermeintlich wissenschaftliche Prognosen zurück, um solch eine Bevölkerungsentwicklung zu skizzieren.
In zwei weiteren Bedrohungstopoi stehen schließlich die physische Unversehrtheit und das materielle Wohlergehen der eigenen Gruppe auf dem Spiel. Dazu zirkulieren in rechtspopulistischen Kreisen zahllose Geschichten über die Gefahr des islamistischen Terrors, über Gewalttaten, Vergewaltigungen bis hin zu Daten, die höhere Kriminalitätsraten insbesondere von männlichen muslimischen Einwanderern und Geflüchteten suggerieren sollen. Darüber hinaus befeuern Rechtspopulist*innen die Vorstellung, Neuankömmlinge würden besser als „die Deutschen“ versorgt, trockneten den Sozialstaat aus oder nähmen Einheimischen die Arbeitsplätze weg. In der Gesamtschau zeichnen diese Bezüge bereits ein affektiv aufgeladenes Bild krisenhafter gesellschaftlicher Verhältnisse, in der die eigene Identität auf vielfache Weise bedroht erscheint.
„Ignoranz“ als Kontrollverlust
Um Angst jedoch wirklich wirkmächtig zu erzeugen, bedienen Rechtspopulist*innen noch eine weitere, dritte Wahrnehmungsebene: die Unkontrollierbarkeit der Bedrohung. In der Islamisierungs-Erzählung übernimmt diese Komponente die als „rot-grün-versifft“ bezeichnete Mehrheitsgesellschaft sowie ihre dazugehörigen politischen Entscheidungsträger („Altparteien“) und etablierten Medien („Lügenpresse“). Als Machthaber der Gesellschaft nehmen sie in den Augen der Rechtspopulist*innen nicht ihre Verantwortung wahr, die bedrohliche Situation anzuerkennen. Vielmehr üben sie sich in Ignoranz gegenüber den Gefahren des Anderen und beschleunigen letztlich die Islamisierung angesichts ihrer „Willkommens- und humanistischen Gutmenschentumkultur“. Gepaart mit „fehlendem Nationalstolz“ sind sie nicht gewillt, den „Strom“ der muslimischen Fremden aufzuhalten.
Was folgt aus dieser Erzählung?
Zum einen ermöglichen Rechtspopulist*innen ihren Zuhörer*innen, sich als Opfer zu begreifen. Die Deutungsangebote über ein geschlossenes „Wir“, über das Bedrohungsszenario der „Islamisierung“ und über die „Ignoranz“ der Mehrheitsgesellschaft bieten hierfür unterschiedliche Ebenen an. Zum anderen lässt sich daraus auch der Appell zum politischen Widerstand ableiten. Denn die Ignoranz der Eliten gegenüber dem „wahren Volk“ macht es in letzter Konsequenz notwendig, sich selbst zu helfen. Wer zu diesem Schluss kommt, den – in den Worten Petrys – „bewegte“ die Angst zum politischen Protest.
Diese Systematik der Deutungsangebote, mit der Petry & Co. hantieren, zeigt aber auch, dass Rechtspopulismus nicht allein ein politischer Stil ohne Substanz ist. Etwa eine bestimmte Form der diffamierenden und verletzenden Sprache. Vielmehr transportieren Rhetoriken auch gezielt Bündel von grundlegenden Wahrnehmungsmustern, mit denen bestimmte Emotionen hervorgerufen werden können (vgl. auch Wodak 2016). Zwar stößt solch ein Angstnarrativ nur auf Resonanz, wenn es in der Gesellschaft dafür auch anschlussfähige Gefühlszustände wie Verunsicherung und Einstellungen wie Islamfeindlichkeit gibt. Rechtspopulist*innen haben aber auch erkannt, wie sich diese durch rhetorische Strategien vorantreiben, verfestigen und auf ihre nationalistische Politik münzen lassen.
Genau diese Einsicht, dass Emotionen von symbolischen und kognitiven Gehalten abhängen, zeigt aber auch Wege für Gegenstrategien auf. Denn sobald bereits einer der Erzählstränge über die „Islamisierung des Abendlandes“ als grundlegende Wahrnehmung nicht mehr überzeugt, dann dürfte nach der hier vorgestellten narrativen Struktur von Emotionen zumindest der Angst als mobilisierender Kraft der Boden entzogen sein. Wie nun gesellschaftlicher Dialog und politische Bildung in Zeiten der Spaltung und des „Post-Faktischen“ gestaltet werden muss, um den kulturrassistischen Deutungen und Emotionen von rechts erfolgreich Einhalt zu gebieten, steht auf einem anderen Blatt. Die Antworten darauf sind dringlicher denn je.*
Literatur:
Max Dehne (2017): Soziologie der Angst. Wiesbaden: Springer.
Thilo Sarrazin (2010): Deutschland schafft sich ab. München: Deutsche Verlags-Anstalt.
Christiane Voss (2004): Narrative Emotionen. Berlin: de Gruyter.
Ruth Wodak (2016): Politik mit der Angst. Horn: Edition Konturen.
* Diese Fragen verhandelt unter anderen die für 2019 geplante Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung Politik mit Gefühl: Vom Umgang mit Gefühlen und anderen Kleinigkeiten im Feld von Politik und politischer Bildung. Darin findet sich ein Beitrag in Ko-Autorenschaft mit Christian von Scheve, der die hier skizzierten Mechanismen der kulturellen Angstproduktion ausführlicher darstellt.
Der Beitrag ist Teil der Themenreihe Affekt, Emotionen und das Politische.