Welche Rolle spielen Affekt und Emotionen für das Politische? Diese Frage ist der Ausgangspunkt einer Arbeitsgruppe des Sonderforschungsbereichs Affective Societies. Darin arbeiten Wissenschaftler*innen aus verschiedenen Geistes- und Sozialwissenschaften – aus Sozial- und Kulturanthropologie, Filmwissenschaften, Literaturwissenschaften, Philosophie, Politikwissenschaften, Soziologie und Theaterwissenschaften – zusammen. In dieser interdisziplinären Gruppe vergleichen wir unsere Forschungserfahrungen und fragen danach, wo das Politische in affektiven Gesellschaften auftritt, wie es gedacht werden kann, und inwiefern affektiv verstandene Gesellschaften politisch sind.
Über einige Grundideen sind wir uns einig: Der Versuch, umstandslos zwischen rationaler Politik und emotionaler Politik oder zwischen politischen und unpolitischen Emotionen zu unterscheiden, führt uns im Nachdenken über die Zusammenhänge zwischen Affekt, Emotion und Politik allzu schnell in eine Sackgasse. Die Denkfigur der affektiven Gesellschaften lässt uns affektive und emotionale Dynamiken hingegen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens suchen. Affekt und Emotionen sind keine Randphänomene, die plötzlich auf- und wieder abtauchen, sondern prägen Gesellschaften fundamental und lassen sich in unterschiedlichen Formierungen auffinden. Alle Menschen lernen von Kindesbeinen an, welche affektiven Dynamiken an welchen Zeiten und Orten angemessen und unangemessen, normal und außergewöhnlich sind. Was richtig und falsch, gerecht und ungerecht ist, wird permanent in affektiv-emotionalen Kontexten ausgehandelt. Momente, in denen soziale und kulturelle Phänomene politisch werden, sind in dieser Perspektive immer von Affekt und Emotionen begleitet. Somit finden Affekt und Politik nicht nur auf der Demonstration, in der Parlamentsdebatte, im ‚politischen‘ Theaterstück statt, sondern auch beim alltäglichen Sprechen, im Gerichtssaal, in der Kindertagesstätte und an vielen weiteren manchmal ganz unerwarteten Orten. Wie das genau aussieht, ist der Gegenstand unserer Forschung.
Auf der Langen Nacht der Wissenschaften 2018 an der Freien Universität haben einige von uns Ideen aus Ihrer Forschung einer breiteren Öffentlichkeit präsentiert. Sechs dieser Beiträge wollen wir als Themenreihe mit dem Titel Affekt, Emotionen und das Politische auf dem Affective Societies-Blog veröffentlichen. Die einzelnen Texte erscheinen im Wochenabstand und laden dazu ein, über das Verhältnis von Affekt, Emotionen und dem Politischen jenseits allzu vereinfachter Gegensätze nachzudenken.
Bisher sind erschienen:
- Performance als Politik: Milo Raus (P)reenactments General Assembly und Sturm auf den Reichstag (Robert Walter-Jochum)
- Ist Empörung eine politische Emotion? Eine Frage der Gefühlsbildung (Gabriel Scheidecker)
- Das Theater als affektpolitische Anstalt? Zum Spiel mit migrantischen Identitätszuschreibungen in „Verrücktes Blut“ (Friederike Oberkrome)
- Gibt es einen monolingualen Affekt? Und wie kann man ihn provozieren? Tomer Gardis Lesung beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb 2016 (Matthias Lüthjohann)
- Von „Abendland“, „Islamisierung“ und „Ignoranz“: Wie der rechtspopulistische Mobilisierungsdiskurs Angst erzeugt (Aletta Diefenbach)
- Das politische Strafverfahren als Affekt-Regulations-Maschine (Jonas Bens)