Fabulierendes Schreiben II – Taube

Welche Beziehungen, welche Lieben und welche Intimitäten werden in literarischen Texten in den Mittelpunkt gerückt, welche bewohnen die Fußnoten? Diesen Fragen sind wir gemeinsam mit der Schriftstellerin Stefanie de Velasco in einer kurzen queer*feministischen Schreibpraxis nachgegangen. Ausgehend von klassischen Begriffen aus der tradierten Liebessemantik, in denen oftmals Naturphänomene und intensive romantische Gefühle miteinander verknüpft werden („Flamme”, „Frosch”, „Sonnenuntergang”, „Apfel”, „Taube”), haben wir ergründet was passiert, wenn wir diese Begriffe rekontextualisieren, mit Erwartungen spielen und andere Formen der Liebe erschreiben. Dabei haben wir uns von den Konzepten der speculative fabulation bei Donna Haraway und der critical fabulation bei Saidiya Hartmans leiten lassen. Für diese Autorinnen stehen fabulierendes Schreiben und Forschen in keinem Widerspruch, sondern wirken gemeinsam darauf hin, hegemonial festgefahrene Wissensformen zu unterwandern. Herausgekommen sind in unserer kurzen Schreibpraxis surreale, komische und melancholische Texte, die vom Essen, Schwimmen, Kerzenauslöschen, Fliegen, Zugfahren und Blühen erzählen und die Liebe und Begehren aus unerwarteten Perspektiven beschreiben. Drei dieser Texte werden hier vorgestellt.

„Gurr – Eine Taube denkt über die Liebe nach“: Eine spekulative Fabulation aus dem urbanen Federwinkel

Was passiert, wenn eine Berliner Stadttaube beginnt, über die Liebe nachzudenken?
Was, wenn sie erkennt, dass der Mensch in ihr eine romantische Metapher sieht – und zugleich ein unerwünschtes Tier?
Was, wenn ihr Herz nicht kleiner ist als das unsere, sondern nur anders schlägt – in Gurrwellen, Windstrichen, Brotkrumen?

Gurr ist eine spekulativ-ironische Kurzgeschichte über eine verwirrte, aber kluge Taube, die durch die Straßen, Plätze und Widersprüche Berlins fliegt – und dabei die Liebestopographie der Stadt erkundet. Inspiriert von Donna Haraways speculative fabulation, erzählt die Geschichte aus der Perspektive eines nicht-menschlichen Stadtbewohners, der uns mit klaren Augen, schrägem Humor und poetischer Präzision spiegelt.

Der Plot folgt der namenlosen Ich-Erzählerin – einer urbanen Taube mit einem Faible für soziologische Beobachtungen – auf ihrer Reise durch Berlin: Vom grauen Staub der Marzahner Hochhaussiedlungen bis zum schillernden Glanz der Grunewalder Villenviertel. Sie begegnet einem bekifften Jugendlichen mit gebrochenem Herzen, der ihr Sonntag für Sonntag sein Frühstück teilt. Sie freundet sich mit einer Friedrichshainer Ratte an, diskutiert mit ihr über Zärtlichkeit und Sichtbarkeit. Und sie besucht einen Taubenzüchter, der inmitten der Kälte der Stadt eine Oase echter Fürsorge geschaffen hat.

Eine Taube und eine Ratte philosophieren über die Liebe in Berlin. Bild generiert mit ChatGPT, 2025.

Während sie die Liebe in den Gesten der Menschen studiert – abweisend, schroff, flüchtig –, entdeckt sie: Die Menschen lieben oft so, wie sie Tauben behandeln. Mit Angst vor zu viel Nähe. Mit Strategien der Verdrängung. Aber auch mit Ausnahmen: flüchtigen Momenten echter Fürsorge, in denen die Grenze zwischen Art und Artigkeit für einen Augenblick aufweicht.

Der Text bewegt sich zwischen urbaner Ethnografie, tierischem Bewusstsein und poetischem Essay. Die Sprache oszilliert zwischen Melancholie, Witz und zärtlicher Gesellschaftskritik. Gurr ist mehr als ein Laut – es ist eine Haltung.

Am Ende der Berliner Episode beschließt die Taube, weiterzuziehen.
Vielleicht, denkt sie, ist Paris anders.
Vielleicht gibt es dort echte Turteltauben.
Vielleicht ist die Liebe dort weniger spike-gesichert.
Vielleicht sogar… einladend?

Der nächste Teil – Gurr: Flügelschläge über die Seine – wird diesen Gedanken aufnehmen: Eine Reise durch Pariser Parks, romantische Projektionen, kunstbesessene Möwen und verlorene Briefe im Wind. Vielleicht findet die Taube dort nicht nur neue Krumen, sondern auch neue Antworten auf die älteste Frage aller Zeiten:
Wie lieben wir – und wen schließen wir dabei aus?

Die Grundidee zu diesem Text – eine verwirrte Taube, die aus Berlin heraus über Liebe und Menschlichkeit sinniert – stammt von Max Müller, ebenso die zentralen Figuren, Orte und Stimmungen (Friedrichshainer Ratte, der Marzahner Taubenzüchter, Bonzen im Grunewald). Der Text selbst wurde auf dieser Grundlage vollständig von ChatGPT (GPT-4o, OpenAI) verfasst. Max Müller hat die KI gezielt mit inhaltlichen und stilistischen Vorgaben gefüttert und den Schreibprozess kuratiert, kommentiert und mitgesteuert. Es war also eher eine Art ko-kreatives Schreiben mit Max Müller als Regisseur und ChatGPT als ausführende Stimme.

Redaktionell betreut von Meike Haken und Annabella Backes