Affective societies, affected scientists! 5 Fragen an Prof. Dr. Birgit Sauer

In der Interview-Reihe „Affective societies, affected scientists!“ beantworten Neu-Mitglieder, assoziierte Kolleg:innen und Wissenschaftler:innen auf Stippvisite oder mit längerem Aufenthalt im Sonderforschungsbereich „Affective Societies“ Fragen zur Affektivität und Emotionalität in Wissenschaft und Gegenwart. Heute stellen wir Prof. Dr. Birgit Sauer vor. Sie ist Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Wien und unter anderem Sprecherin des Forschungsschwerpunkts „Gender, Affect, Politics, State“ (GAPS) am Institut für Politikwissenschaft. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen Rechtspopulismus und Geschlecht sowie Emotionen und Affekte in der Politik.

Welche Forschungsfrage bewegt Sie aktuell und worin besteht Ihre gesellschaftliche Bedeutung?

Ich habe zwei Themen, die beide mit Affekt und Affektivität zu tun haben. Das erste Thema ist die Analyse rechtsautoritärer Bewegungen, die affektiv mobilisieren. Dabei untersuche ich die Geschlechterperspektive dieser rechtsautoritären Parteien und Bewegungen, vor allem in Österreich und in Deutschland. Mich treibt die Frage nach ihrer Geschlechterideologie um. Die Rechten beteiligen sich ja auch ganz vehement an diesem Kampf gegen Gender und gegen Gender-Mainstreaming. Ich betrachte das als einen Kampf um kulturelle Hegemonie. Die Rechte versucht nicht nur, Staatsapparate und Parlamente zu erobern oder – wie man kürzlich am Beispiel der Reichsbürger gesehen hat – mit Waffengewalt einen Putsch herbeizuführen, sondern dazu gehört auch die Herstellung eines autoritären Common Sense. Die sagen, der Staat, so wie wir ihn kennen, die Demokratie, so wie wir sie kennen, die gehören abgeschafft. Und um das zu machen, sind Geschlechterverhältnisse ein guter Ansatzpunkt aus der Perspektive der Rechten. Denn jede Person hat irgendeine Geschlechtsidentität oder kämpft mit einer Geschlechtsidentität. Deshalb ist dieses Thema auch so hoch affektiv, weil es so körperlich ist, weil es gewissermaßen unter die Haut geht. In ihrer Mobilisierung sprechen die rechten Gruppen ganz stark Männer an und beschwören eine Bedrohung von Männlichkeit. Höcke spricht von „Weicheiern“. Ja, alle Männer in Deutschland seien nur noch Weicheier. Oder Bettina Röhl, eine rechtsextreme Essayistin in Deutschland, spricht von der „hodenlosen Gesellschaft“. Sie bezeichnen Männer als Opfer von Gleichstellungspolitik, von Frauen, aber auch von Homosexuellen. Und gleichzeitig versprechen diese rechten Akteur:innen auch so was wie eine affektive Entschädigung. Also: „Wir unterstützen euch, wir helfen euch. Wir stellen heroische Männlichkeit wieder her. Wir erlauben wieder, dass Männer Männer sein dürfen: aggressiv, auch gewalttätig.“

Foto: Otto Penz

Daran schließt die Frage an, was man da jetzt tun kann. Man kann ganz viel tun, weil diese Bedrohungsszenarien auch einen Hintergrund in neoliberalen Veränderungen haben. Queer-feministische Demokratietheorien haben mich hier vor allem inspiriert. Dies ist mein zweiter Forschungsschwerpunkt im Moment. Dort gibt es die Idee, dass Demokratie neu gedacht werden sollte, also weniger als liberale Demokratie, wo die einzelnen Individuen im Wettbewerb zueinander stehen, sondern als ganzheitliche Konzeption von Demokratie, die viel mehr auch im Sinne von Hannah Arendt auf gemeinsames Handeln abzielt, die eben auch weniger klassische Interessenvorstellungen hat. Ein solches Konzept geht von der Bezogenheit der Menschen oder auch von Care, also von Sorge umeinander aus. Ich habe das mit Affekt verknüpft und denke, dass wir so etwas wie „affektive Demokratie“ als ein analytisches Konzept brauchen, das deutlich macht, wo diese Art von Bezogenheit sich widerspiegelt. In einer normativen Sicht müssen wir überlegen, welche Institutionen oder welche Mechanismen es braucht, um mit Affekten und mit Emotionen umzugehen, um eben Emotionen nicht nur den Rechten zu überlassen. Denn alle haben immer gedacht: „Ja, Demokratie, aber bloß keine Emotion. Das kennen wir ja aus dem Nationalsozialismus. Das ist alles manipulativ, demgegenüber muss heute alles rational sein.“ Das ist natürlich ein Trugschluss, weil man dann Emotionalität den Rechten überlässt. Und um das wiederzugewinnen, könnte man vielleicht mit dem Gedanken einer affektiven Demokratie spielen, der gesellschaftliche Bezug oder die gesellschaftliche Bedeutung liegt nahe. Denn es scheint, dass die liberale Demokratie nicht mehr funktioniert. Die Rechten wollen sie sowieso abschaffen, bekommen bei Wahlen aber viel Unterstützung. In der Bevölkerung ist schon länger eine galoppierende Demokratieverdrossenheit bemerkbar. Die Leute wollen nicht mehr wählen, sie haben kein Vertrauen mehr in klassische Parteien. Und die „Querdenker“-Demonstrationen haben das auch noch mal zum Ausdruck gebracht. Von daher will ich mit meiner empirischen Forschung und auch mit meiner theoretischen Reflexion zum Verständnis von aktuellen Zeitgegebenheiten beitragen.

Die Relevanz welcher Emotion hat Sie in der letzten Zeit überrascht?

Auf der einen Seite besteht eine große Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid von geflüchteten Personen. Wie aktuell in den Medien zu sehen, wird an der EU-Außengrenze unter der Toleranz von Frontex auf Geflüchtete aus Syrien, Afghanistan, Nordafrika geschossen und Tausende sterben im Mittelmeer. Es herrscht eine große Gleichgültigkeit und Entmenschlichung. Angesichts des vergleichsweise herzlichen und großzügigen Empfangs von Kriegsgeflüchteten aus der Ukraine, den ich toll finde, ist das nochmal deutlich geworden. Einerseits diese Art von Empfang, Aufnahme und Organisation, andererseits die Gleichgültigkeit gegenüber den Geflüchteten, die an den Außengrenzen der EU oder Europas stehen. Das überrascht mich immer wieder, gerade wo der Krieg näher rückt und auch gerade in der Zeit, wo ja auch die Armut bei uns steigt, ist die Gleichgültigkeit und Empathielosigkeit gegenüber anderen Menschen immer wieder erschütternd.

Gibt es ein affektives Movens oder auch affektive Schranken in Ihrer Forschungsarbeit?

Das ist eine Frage, mit der ich mich schon lange beschäftigte. So lange, wie ich mich mit dem Thema Emotion und Affekt beschäftige, habe ich auch gedacht, naja, es gibt auch Affektivität in der Wissenschaft. Na und? Das ist ja was, was eben auch ganz häufig verleugnet wird. Es wird gesagt, Wissenschaft hat mit Emotionen nichts zu tun, sie muss rational und daher objektiv sein. Da gibt es dann zwei Dimensionen. Ohne die Lust und die Leidenschaft wissen, forschen, nachdenken und schreiben zu wollen, wäre ich völlig unkreativ. Ich brauche für meine Forschungsarbeit so was wie Leidenschaft, Lust und Neugier, dann komme ich auch voran. Ich beschäftige mich schon lange mit Geschlechterforschung und die Empathie gegenüber den Untersuchungs“gegenständen“ war immer da. Die zweite Dimension war die politische Intention meiner Forschung, die in der Mainstreamwissenschaft eher abgelehnt wird. Aber ich wollte mit meinem Forschungsbeitrag auch politisch etwas verändern. Ich wollte immer mehr Gleichheit, mehr Gerechtigkeit. Da war also auch viel Empathie vorhanden und diese Mischung machte mich dann schon zu einer Außenseiterin in der Geschlechterforschung und in der Politikwissenschaft. Diese Außenseiterinposition hat mich dann lustvoll oder leidenschaftlich angestachelt, meine Sachen zu machen. Der Mix, der früher mit großem Ärger verbunden war, etwa, wenn bei einer Tagung wieder keine Frauen da waren und das Geschlechterthema nicht präsent war. Dieser Ärger war dann auch immer wieder Ansporn, darüber nachzudenken und mit anderen zusammen zu forschen. Die Möglichkeit, in der Wissenschaft etwas zu verändern war für mich immer auch eine große Freude. Da hat sich über die letzten 20-30 Jahre, was die Geschlechterforschung oder queer-feministische Forschung angeht, einiges verändert. Das war mein Antrieb und auch meine Affektivität, die mich immer wieder an diesem Thema gehalten hat. Und natürlich gibt es auch affektive Schranken in der Arbeit. Zum einen war es sehr ermüdend und erschöpfend, immer wieder zu betonen, wie wichtig die Geschlechterthematik ist – da kann man schon einmal den Mut verlieren. Diese Politikwissenschaft ist so männlich, da tut sich nix. Diese Haltung war meiner Forschung gegenüber aber destruktiv, sodass ich dann gemeinsam mit anderen versucht habe, aus dieser Spirale herauszukommen und zu sagen, dass wir etwas Positives erreichen können, wenn wir gemeinsam Forschung machen. Wenn die Gegenstände sich sträuben gegen den Geschlechterzugriff und auch die Disziplin sich gegen so einen Zugriff sträubt, dann hilft das gemeinsame Handeln. Das hat sich sehr bewährt. Die Schranken habe ich dann individuell nicht mehr so stark empfunden. Für das neue Buch zu den autoritären Rechten gab es auch affektive Schranken. Irgendwann habe ich gedacht, ich kann das nicht mehr lesen. Es ist so ekelhaft und abstoßend, diese Form von Männlichkeit. Obwohl ich an meine Grenzen gekommen bin, habe ich das Buch zu Ende geschrieben, da mich das Thema eben auch angetrieben hat – und ich hatte einen unterstützenden Ko-Autor.

Welches Buch hat Sie zuletzt stark affiziert?

Einerseits könnte ich das Buch von Björn Höcke „Nie zweimal in denselben Fluss“ nennen, das habe ich intensiv durchgearbeitet. Da habe ich dann irgendwann gesagt: „Ich hör jetzt auf mit Lesen, ich kann dieses faschistische Zeug nicht mehr lesen“. Insofern war ich da schon affiziert. Aber das ist mir zu negativ. Ich will hier lieber ein zweites Buch einbringen, was für mich positiv war. Das Buch von Colson Whitehead „Underground Railroad“. Das fand ich total eindrücklich und das hat mich in den letzten Jahren positiv affiziert. Es ist der Roman eines afroamerikanischen Schriftstellers, über die sogenannte „Underground Railroad“, ein Netzwerk von Sklav:innen und auch von weißen Personen in den USA im 19. Jahrhundert, zur Zeit vor dem Bürgerkrieg und vor der Abschaffung der Sklaverei. Das Netzwerk hat Sklav:innen aus den Südstaaten der USA in den Norden geschleust.

Das Buch war deshalb so interessant, weil ich vorher nicht viel über die Sklaverei in den Südstaaten wusste. Colson Whitehead hat beeindruckend beschrieben, wie die Menschen in der Plantagensklaverei ausgebeutet, geknechtet, getötet und wie Material behandelt wurden und wie das Netzwerk gleichzeitig Menschen rausgeschleust hat. Die Mitglieder des Netzwerkes der Underground Railroad waren durch ihre Tätigkeiten stark gefährdet. Der Aspekt, dass Menschen in der Lage sind, sich zu organisieren und um der Gerechtigkeit willen ihr Leben zu riskieren und in solchen aussichtslosen Situationen aktiv zu werden und etwas zu bewegen, hat mich sehr berührt.

So habe ich noch mal eine ganz andere Sicht auf unsere eigene europäische postkoloniale Situation bekommen. Das Thema berührt die affektive Herstellung von Weißsein in Europa nicht nur im 19. Jahrhundert und hat einen anhaltenden Reflexionsprozess in mir ausgelöst.  Dass ein Roman so was schafft, finde ich toll.

Auf welche Stimmungen und oder Gefühle würden Sie im Moment gerne verzichten?

Wut. An sich habe ich nichts gegen Wut, weil ich mich ja viel mit sozialen Bewegungen und auch Affekten in sozialen Bewegungen beschäftigt habe und merke, dass Wut immer ein affektives Movens ist, um etwas zu verändern. Wut oder Empörung kann man in ein gemeinsames Handeln transferieren. Ich würde aber dennoch auf die Wut verzichten, weil meine Wut sich derzeit gegen den Krieg in der Ukraine und gegen Kriege in Europa, im früheren Jugoslawien oder in Afghanistan richtet und gegen den heuchlerischen Umgang des Westens damit. Die zweite Dimension meiner Wut bezieht sich auf den Umgang mit der Klimakatastrophe und mit den Aktionen der „Letzten Generation“.

Das macht mich wirklich wütend und darauf würde ich gerne verzichten. Damit könnte man anders umgehen, viel präventiver auf Kriege reagieren, aber eben auch auf die Klimakatastrophe und die Zerstörung der Lebensumwelt durch vernichtende Interessen von kapitalistischen Industrien. Irgendwann wird das aber nicht mehr gehen, gerade in Bezug auf die Umwelt, auch in Europa oder in anderen westlichen Ländern nicht. Es wird zu spät sein. Das macht mich sprachlos, aber eben auch wütend. Und darauf würde ich wirklich sehr gerne verzichten.