Diese Zeile steht in fetten schwarzen Lettern irgendwo in Berlin Kreuzberg auf eine Häuserwand gesprayt. Beim Vorbeilaufen freue ich mich, bleibe stehen. Aktivismus im Alltag. Aber was für ein Aktivismus ist das, der Aufmerksamkeit möchte?
Bezeichnend ist, dass dieses politische Graffito mit der Ankündigung, in Zukunft weniger aktivistisch zu sein, unter der Voraussetzung, dass die Anderen weniger ‚scheiße‘ sind, überhaupt erst einen Aktivismus sichtbar macht. Und zwar einen Aktivismus, der sich in meiner Interpretation als Reaktion auf etwas Bestehendes performativ selbst verstetigt, indem er aufmerksam macht, nur dann notwendig zu sein, solange das „you“ „shit“ ist. Desweiteren kann das Angebot, in Zukunft weniger aktivistisch zu sein, meines Erachtens nur als Antwort auf die vorherige Zuschreibung zu aktivistisch gewesen zu sein, verstanden werden. Das deutet darauf hin, dass die Art des hier angesprochenen praktizierten Aktivismus aus der Perspektive des adressierten Anderen als eine Belastung wahrgenommen wird. Das heißt, das „you“, welches „shit“ ist und zum Zeitpunkt des Vorwurfs auch war, nimmt für sich in Anspruch, darüber bestimmen zu dürfen, welches Ausmaß von Aktivismus angebracht sei.
Um wen geht es hier eigentlich? Wer wird angesprochen? In einer ersten Annäherung ist zu konstatieren, dass den adressierten Anderen immer noch ein explizites Angebot unterbreitet wird, was vermuten lässt, dass die Aktivist:innen und die Anderen nicht militant-antagonistisch entgegengesetzt sind, sondern in derselben Welt, jedoch mit unterschiedlichen Horizonten, zu leben scheinen. Der, nennen wir es mal, Appendix des Graffito „PMS REGELT“ impliziert außerdem, dass es sich um einen queer-feministischen Aktivismus handeln muss. PMS, die klinisch-diagnostische Abkürzung für das prämenstruelle Syndrom, welches bspw. auch im ICD-10, der „Internationalen Klassifikation von Krankheiten und verwandten Gesundheitsproblemen“ aufgeführt wird, zeichnet sich durch physische wie psychische Beschwerden aus. Zu den attestierten „negativen“ Gefühlen zählen Aggressivität, Reizbarkeit, Wut sowie Hyperaktivität und Kontrollverlust. Inwiefern diese Klassifikation als phallogozentrisch und demnach nicht nur abwertend, sondern auch paternalistisch einzustufen ist, lässt sich davon ableiten, dass die Aktivist:innen diese patriarchale Zuschreibung für sich reclaimen, indem sie aus dem Syndrom ein Projekt machen, welches die heteronormative Herrschaftslogik umkehrt und somit „regelt“: Nicht die Subjekte mit PMS sind das Problem, sondern diejenigen, die sie zu einem Problem machen.
Diese Betrachtungen lassen es zu, daran Debatten anzuschließen, in welchen postkoloniale oder queer-feministische Stellungnahmen immer wieder als Belastung des alltäglichen Lebens anstatt als legitime politische Diskursbeiträge empfunden werden. Man denke bspw. an die Debatten um Neuauflagen von Kinderbuchklassikern, an die Stimmen, die sich für den Erhalt der Originalausgaben von Büchern von Astrid Lindgren oder Ottfried Preußler aus den Jahren 1940 und 1945 ungeachtet der enthaltenen rassistischen Ausdrücke und Ideen aussprachen. Diese Personen fühlten sich in ihrem Gefühl der Empörung berechtigt, warfen dem Neuauflagenprojekt Zensur vor und zogen Vergleiche zu George Orwells 1984 oder Ray Bradburys Fahrenheit 451. Da als Kinder größtenteils selbst mit diesen Büchern aufgewachsen, scheinen die Empörten zu meinen, ihrer Nostalgie nicht mehr Folge leisten zu dürfen und fühlen sich so in ihrem Recht auf Glücklichsein eingeschränkt. Dass dabei nicht nur die Gefühle derjenigen, die von einer solchen rassistischen Wortwahl gekränkt sein könnten, gänzlich missachtet und abgewertet werden und somit deren Anrecht auf Glück negiert wird, sondern auch Stigmata und Machtverhältnisse reproduziert werden, welche eine Gesellschaft der Ungleichheit befördern, scheint für diese Personen im Vergleich zum eigenen Glück nachrangig zu sein. Aus Sicht der Verfechter:innen herrsche „Tugendterror“ von einer „Sprachpolizei, [denn] man wird das ja wohl noch sagen dürfen“. Inwiefern mit dieser gewaltvollen Terminologie eine tatsächliche institutionelle Gewalt verschleiert wird, wird ersichtlich, wenn man fragt, wessen Gefühle dabei eigentlich im Spiel sind. Die Kinderbücher sind in gewisser Weise paradigmatisch für eine bestimmte Form der De-Legitimierung von politischem Aktivismus, bei dem der Gegenstand der Kritik de-politisiert und damit der Aktivismus als solcher lächerlich gemacht wird.
Ein weiteres Beispiel hierfür sind Karnevalskostüme, welche sich an kolonialistischen Märchen orientieren und indigene oder andere Kulturen aus einer eurozentrischen Perspektive romantisieren, ohne deren historische Situiertheit wie tatsächliche Lebensrealität zu reflektieren. Als eine Hamburger Kita zu Fasching im Jahr 2019 die Eltern darum bat, von solchen Kostümierungen abzusehen, war die Empörung groß: „Das ist doch nur Spaß!“, klagten Medien und betitelten das Schreiben der Kitaleitung als „Gaga-Verbot“. Auch Reaktionen von bekannten Politiker:innen, wie der CDU-Bundestagsabgeordneten Sylvia Pantel, die ihre Kinder bei einer solchen Grenzüberschreitung von Seiten der Erzieher:innen sofort aus der Kita nehmen würde, wurden publik. Nicht nur wird mittels der Betonung auf die Faschingstradition von Humor, Spaß und Freude versucht, die Debatte zu de-politisieren, sondern es wird auch ein dagegenhaltender Aktivismus als quasi unzurechnungsfähig eingestuft und somit strategisch entmündigt. Auffallend ist, dass dabei diejenigen, die den anderen vorwerfen, scheinbar keinen Spaß zu verstehen, absolut keinen Spaß verstehen, sobald es um das kritische Hinterfragen ihrer gewohnten Herrschaftslogik geht.
Bis zu welchem Punkt dürfen also die Grenzen der Gefühle nicht überschritten werden, um nicht als Terrorisierung der guten Laune zu gelten? Das heißt, welche – und wessen – Gefühle sind erlaubt und welche nicht? Emotionstheoretikerin und Aktivistin Sara Ahmed situiert ihren politischen Aktivismus in ihrem „Manifest für Spaßverderber*innen“ gerade in der vermeintlich unpolitischen Sphäre des Humors. Als eigentlich antifeministisches Stereotyp wird der*die Spaßverderber:in gerne genutzt, um tatsächlich existierende Ungleichheiten ungestört reproduzieren zu können, indem eine die Artikulation anklagende Person als Spaßverderber:in ohne Humor diffamiert wird. Wie oben in den Beispielen bereits skizziert, wird so eine gewisse Form von mastery in Humor perpetuiert, indem andere mit dem Vorwurf, keinen Spaß zu verstehen, mundtot gemacht werden. Daran anknüpfend, fragt Ahmed, wer oder was Spaß und Freude definiert, wenn das Infrage stellen von Sexismus und Rassismus in der Welt als Akt des Spaßverderbens eingestuft werde. Solange das Herausfordern von Machtverhältnissen und Normen das Glücklichsein anderer bedroht, ist zu hinterfragen, wie dieses Glücklichsein überhaupt organisiert ist. Wenn sich dieses Glück auf der kontinuierlichen Unterordnung und Verleugnung der Gefühle und Existenzen anderer aufbaut, ist Ahmeds Figur der Spaßverderberin im Gegensatz dazu gewillt, darüber unglücklich zu sein. Damit ist nun nicht gemeint, dass als oberstes Ziel das Unglücklichsein zu erstreben ist, sondern die Art und Weise zu hinterfragen, wie Glück-/lichsein in unserer Gesellschaft konzeptualisiert wird. Ahmed orientiert sich dabei unter anderem auch an Simone de Beauvoir, die bereits 1968 schreibt: „Es ist immer leicht, die Situation als glücklich zu erklären, zu der man jemanden zwingen will“ (de Beauvoir zitiert nach Ahmed 2017, S. 326). Daran anknüpfend stellt Ahmed die Institution Glück in der Tradition der abendländischen Philosophie in Frage, indem sie bestimmte Handlungen und Objekte, die kulturell mit Glück assoziiert werden, untersucht. Institutionelle Bilder und Vorstellungen, wie die der glücklichen Hausfrau, der glücklichen Ehe, der glücklichen Familie oder der glücklichen Integration sind eigentlich soziale Konventionen eines asymmetrischen, normativen Rahmens. Indem diese scheinbar universellen ‚Ideale‘ als Ursachen von Glück-/lichsein verstanden werden und somit als erstrebenswert gelten, werde der dahinterliegende Phallogozentrismus verschleiert. Inwiefern dabei der eigene Wille und die eigenen Bedürfnisse tatsächlich unterdrückt und einem primär ‚westlichen‘ Ideal angepasst werden müssten, versucht Ahmed in ihrer Analyse aufzudecken, indem sie hervorhebt, wer aus dieser Definition ausgeschlossen werde: „Ein Spaßverderber*innen-Manifest beginnt deshalb mit dem Erkennen von tatsächlichen Ungleichheiten. Diese Erkenntnis wird durch die Figur der Spaßverderber*in selbst vollzogen: Sie verdirbt Spaß, weil das, was sie behauptet, tatsächlich existiert. Sie muss immer wieder das gleiche behaupten, weil sie immer wieder auf die Behauptung stößt, dass das, was für sie existiert, doch gar nicht existiere“, schreibt Ahmed (Ahmed 2017, S. 322).
Wie ist das zu verstehen? Hinter der Behauptung der Inexistenz verbirgt sich erneut die Entgegnung, dass der Gegenstand der Kritik keine politische Relevanz oder Bedeutung habe, wodurch jegliche Formen des Anklagens und Aufmerksam-Machens entwertet werden. Ahmed entgegnet: „Wir sind gewillt, Spaß zu verderben, weil die Welt, die diese oder jene Person oder Gruppe als Spaßverderber*in bestimmt, keine Welt ist, an der wir teilhaben wollen“ (ebd., S. 326). Als Spaßverderber*in zu gelten, bedeute demnach sich frei- und eigenwillig einer Kultur des Glück-/lichseins zu widersetzen. „Demnach heißt die Beteiligung am politischen Aktivismus auch, an einem Kampf gegen das Glück beteiligt zu sein“ (ebd.). Um diesen Kampf zu veranschaulichen, setzt Ahmed zehn Prinzipien für die feministische Spaßverderber*in fest (vgl. ebd., S. 329 ff.). Ahmeds Spaßverderber*innen-Manifest gilt als ein öffentlicher, schriftlich manifestierter Akt der Solidarität. Sich mit anderen, als Spaßverderber*innen diffamierten Subjekten solidarisch zu zeigen und demnach gemeinsam gegen eine Gesellschaft der Ungleichheit, Ungerechtigkeiten und systemischen Gewalt vorzugehen, ist die Kernaussage ihres Leifadens für ein feministisches Leben.
So wie das Graffito, das aus der phallogozentristischen Zuschreibung der PMS eine selbstermächtigende Umkehrung macht, wandelt Ahmed „das Urteil in einen rebellischen Befehl um“ (ebd., S. 342). Mit einer solchen öffentlichen Solidarisierung mit Spaßverderber*innen wird nicht nur ein Schweigen gebrochen, es wird eine mastery unterbrochen und durch solchen Aktivismus im Alltag ein System der gewaltvollen Unterdrückung angeklagt sowie die patriarchale Institution Glück eigenwillig abgelehnt: „Ich bin gewillt, Glück/lichsein gehen zu lassen; Wut, Rage oder Enttäuschung zuzulassen, weil sie dafür stehen, wie mich eine Welt berührt. Doch wenn Glück/lichsein passiert, bin ich glücklich”(ebd., S. 340).
Dieser Text entstand im Rahmen des MA-Forschungsseminars „Undoing Mastery“ am Institut für Theaterwissenschaft der FU Berlin, das im WS 2021/22 stattfand und von Karina Rocktäschel und Theresa Schütz (beide Projekt B03) geleitet wurde.
Literatur:
Ahmed, Sara: Feministisch leben!. Übs. v. Emilia Gagalski. 1. Auflage. Münster: Unrast Verlag, 2017.