Ein Kommentar zur symbolischen Ordnung der Diskriminierung am Theater

Stellen wir uns ein paar unbequeme Fragen: Wie divers ist Dein Lieblingstheater? Wie divers sind die Aufführungen besetzt? Wer hat die Intendanz inne? Wer sorgt dafür, dass die Papierhandtücher, mit denen Du Deine Hände trocknest, aufgefüllt sind?

Der Begriff der Diversität ist zurzeit auch im Kulturbetrieb in aller Munde und verfolgt zunächst einen wichtigen gleichstellungspolitischen Ansatz. Untersuchungen zur Diversität einer Institution können darauf aufmerksam machen, dass sie im Verhältnis zur gesamten Gesellschaft zu homogen, bspw. zu mehrheitlich weiß, zu able-bodied, zu heteronormativ, ist. Solche Ergebnisse sind deswegen so wichtig, weil dominante Ordnungsstrukturen an Institutionen durch sie sichtbar werden können. Doch wie lässt sich eine notwendige Bestandsaufnahme der Institution Theater und deren Diversitätsstruktur anfertigen, um die real vorhanden Diskriminierungsstrukturen offenzulegen?

Schwierigkeiten der Untersuchung

Ein Team von Soziolog:innen der Freien Universität Berlin hat sich diesem Thema in einer empirischen Studie angenähert. Die Studie sollte Aufschluss darüber geben, zu welchem Grad Diskriminierungen am Theater stattfinden und in welchem Verhältnis diese zu anderen gesellschaftlichen Bereichen und Institutionen stehen. Untersucht wurde mittels fiktiver Initiativbewerbungen für unbezahlte Dramaturgie-Hospitanzen an deutschsprachigen Theatern – also diejenigen Jobs, die weder finanzielle Sicherheit noch künstlerische Mitgestaltung bieten können –, wie die Diskriminierungsstrukturen an der Institution Theater ausgestaltet sind. Die Initiativbewerbungen waren alle gleich aufgebaut. Unterschiede gab es in der ethnischen Herkunft (Deutsch, Frankreich, Türkei), in den eigenen Erfahrungswerten sowie der Genderidentität. Auf ersteres wurde mit „typisch französischen oder türkischen Vorder- und Nachnamen“ verwiesen und dem Sprechen der Sprache des sog. „Herkunftslandes“. Hinzu kam, dass Personen mit vermeintlich migrantischem Hintergrund Erfahrungen in migrantischen Jugendtheatern hatten, vermeintlich deutsche Personen konnten Erfahrungen in unspezifizierten Jugendtheatern nachweisen. Eine nicht binäre Genderidentität wurde mit einem zusätzlichen weiblichen Vornamen sowie der Markierung von transgender im CV gekennzeichnet. Auch hier gab es eine Differenz im Erfahrungsschatz: Transpersonen waren in einem queeren Jugendtheater aktiv, Cis-Personen in einem unspezifizierten Jugendtheater. 

Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass Menschen mit einem sogenannten „Migrationshintergrund“ (damit sind Bewerber mit einem türkischen Namen gemeint) oder Trans*identität am Theater nicht signifikant benachteiligt werden, sondern mitunter sogar größere Chancen hätten, zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden. Die Ergebnisse versuchen zu belegen, dass die im Bereich der Kunst (zu dem das Theater gezählt wurde) bereits bestehenden Auseinandersetzungen mit Diskriminierung einen Einfluss auf die Einstellungspolitik ausüben. Dies steht im Gegensatz zu anderen Bereichen der Gesellschaft und ihrer symbolischen Ordnung. 

Reproduktion von Ausschlüssen

Die Studie sowie deren journalistische Verbreitung wurden in künstlerischen Kreisen bereits ausgiebig und kritisch diskutiert. Auch aus einer theaterwissenschaftlichen und feministischen Perspektive werfen insbesondere die Rahmenbedingungen der Studie einige Fragen auf, wozu wir hier Stellung beziehen wollen. 

Zum einen wurden Frauen – Cis-Frauen oder auch Transfrauen – für die Datengrundlage der Studie nicht berücksichtigt. Grund dafür war einerseits, wie in der Studie zu lesen ist, dass eine überschaubare Datenlage ermöglicht werden sollte. Andererseits fokussierten alle vergleichbaren Studien ebenfalls nur Männer. Bei großem Verständnis für die methodischen Schwierigkeiten der Datenerhebung wirft dies eine zentrale Frage auf: Wie können Aussagen zur symbolischen Ordnung generiert werden, wenn Frauen in der Untersuchung gänzlich ausgeblendet werden? Schließlich ist die symbolische Ordnung nicht irgendeine, sondern funktioniert, wie Pierre Bourdieu (2005: 21) konstatierte, „wie eine gigantische symbolische Maschine zur Ratifizierung der männlichen Herrschaft, auf der sie sich gründet.“

Ebenfalls nicht berücksichtigt wurden in der Studie die Herkunftsmilieus und ökonomischen Voraussetzungen der Bewerber:innen. Das ist problematisch, weil das Theater als Kulturinstitution insbesondere Klassenunterschiede reproduziert. Gerade soziale und familiäre Hintergründe bestimmen, welche kulturelle Förderung in Anspruch genommen wird, wie viel Zeit und Geld in Bildung investiert werden kann und damit auch den beruflichen Werdegang. Dass die Bewerber:innen Arbeitserfahrungen an Jugendtheatern vorweisen können, weist eher auf ökonomisch abgesicherte Familiensituationen hin. Damit werden Biographien jenseits dieser Milieus komplett aus der Studie ausgeblendet. Als staatliche Institution, die mit gesellschaftlichen Entwicklungen im Austausch steht, sie kommentiert und gestaltet, sollten insbesondere auch Perspektiven von Menschen aus Arbeiter:innenfamilien in künstlerische Arbeit einfließen können. Dass Männer mit Migrationshintergrund bevorzugt zum Bewerbungsgespräch eingeladen wurden, ist natürlich begrüßenswert, sagt aber nur begrenzt etwas darüber aus, ob hier diskriminierende Strukturen gänzlich überwunden wurden oder nicht. 

Dazu kommt, dass die fiktiven Bewerbungen im Nicht-Entlohnungssektor „Hospitanz“ eingereicht wurden. Hospitanzen sind meist unbezahlt und stehen am Ende einer hierarchischen Kette der Arbeitsstrukturierungen im Theater. Sie beinhalten klassischerweise vor allem Tätigkeiten wie Catering, wichtige dokumentarische Tätigkeiten wie das Anfertigen von Probenprotokollen, Unterstützung von Regie und Ensemble im allgemeinen Probenbetrieb und nicht zuletzt auch Facetten psychischer Sorgearbeit. Die Arbeitszeiten umfassen realistisch Arbeitstage bis zu 18 Stunden und keine Wochenenden. Dass am Theater – wie auch im Rest der deutschen Gesellschaft – unbezahlte Service- und Carearbeit bevorzugt von Menschen mit Migrationshintergrund ausgeführt werden „darf“, ließe sich mitunter also eher als Beweis für Diskriminierung am Theater einstufen und nicht dagegen.  

Nun ließe sich sagen, dass Hospitanzen mit Praktika in anderen Unternehmen vergleichbar wären; sie bieten eine Möglichkeit, Zugang zu bezahlten Arbeitsstellen am Theater zu bekommen. Aber diesen Arbeitsstellen korrespondiert ein hierarchisch organisierter Arbeits-, Bewerbungs- und Auswahlprozess. Der Verwaltungsapparat Theater ist ein komplexes Gebilde, und der Auswahlprozess in Einstellungsverfahren hängt von unterschiedlichen Menschen und ihrer Position in der Theaterhierarchie ab. Die Verantwortlichen für Bewerbungsprozesse von Hospitanzen sind andere Personen als diejenigen für die Einstellung von festen Stellen für Dramaturgie oder gar der Intendanz. Gerade letzteres wird an den staatlichen Theatern von der Senatsverwaltung bestimmt, d.h. von Beamt:innen, die selbst wiederum eine ganz andere Statusgruppe inne haben als eine angestellte Dramaturgin, freie Kostümbildnerin oder unbezahlte Praktikantin. Aber sie alle bilden die Institution Theater und füllen sie mit Leben. Bereits hier werden die Komplexität und Eigenständigkeit der Institution Theater sichtbar, die in der Studie in den Hintergrund gedrängt werden. Allgemeiner gesagt: Das Theater ist ein Apparat mit ganz bestimmten Produktionsbedingungen, die in ihrer Vielschichtigkeit beim Nachdenken über die Potentiale der Institution Theater situativ berücksichtigt werden müssen, was aber in der Studie nicht geleistet wird.  

Das Problem beim Namen nennen: Rassismus 

Nehmen wir ein aktuelles Beispiel und bringen es mit einigen Ansätzen und Erkenntnissen der Studie zusammen: Nach dem Bekanntwerden rassistischer Vorfälle am Berliner Theater an der Parkaue wurde es ziemlich laut um das Haus. Im Zuge dieser Ereignisse kündigte der Intendant Anfang September 2019, und es wurde eine neue Leitung gesucht. Besonders nach diesen rassistischen Vorfällen wäre es begrüßenswert gewesen, wenn hier ein Leitungsteam benannt worden wäre, das sich für eine Aufarbeitung des Rassismus an der Institution und eine antirassistische Arbeit an und in der Gesellschaft stark macht. Dies forderten bspw. Natasha Kelly und Raphael Hillebrand in ihrem Bewerbungsvideo „Dein Theater“. An ihren Äußerungen zeigt sich, dass die Institution Theater nicht nur ein Ort ist, der den aufklärerischen Gedanken der Kritik an der Gesellschaft ausübt, wie es in der hier diskutierten Studie etwas einseitig benannt wird. Theater ist zudem ein Ort der Repräsentation und der Community. Hier entstehen Gemeinschaften, in denen sich bestimmte Menschen zusammenfinden, um kollektiv an einem Projekt – unserer Gesellschaft – zu arbeiten. Die Ergebnisse dieser Arbeit spiegeln zwar meist gesellschaftliche Verhältnisse wider, sie müssen aber keineswegs explizit kritisch sein.

Eine ernstzunehmende Arbeit in Richtung einer vielfältigen Institution ist aber erst möglich, wenn die Institution Theater durch alle Statusgruppen hindurch divers besetzt ist. Dafür wiederum ist es nötig, eines der Hauptprobleme unserer Gesellschaft und der Institution Theater anzusprechen, das in der hier benannten Studie über Diskriminierung am Theater aber kein einziges Mal fällt: Rassismus. Rassismus ist ein Problem, das nicht unbedingt an Vornamen klebt und daher mit Namen alleine nicht zu erfassen ist. Was sagen bspw. die Namen von Natasha Kelly und Raphael Hillebrand? 

Rassismus hängt mit Körpern zusammen. Nicht, weil diese unterschiedlich aussehen, sondern weil diese in unterschiedliche soziopolitische Prozesse eingelassen sind (Weheliye 2014). Institutionen stehen nicht außerhalb dieser Prozesse und ihrer Geschichte, im Gegenteil, sie konstituieren sie. Es gibt bestimmte Körper, die in Institutionen eher eingelassen werden als andere. Ihr Zugang zu bestimmten Positionen wird unterschiedlich gewährt. Eines der Probleme von Institutionen lässt sich deutlich benennen: Whiteness. „What would it mean to talk about whiteness as an institutional problem or as a problem of institutions? When we describe institutions as being white, we point to how institutional spaces are shaped by the proximity of some bodies and not others: white bodies gather and create the impression of coherence” (Ahmed 2012: 35). Vielleicht lohnt es sich an dieser Stelle, einen kleinen Blick in die Besetzung der Intendanzen an deutschen Theatern zu wagen, um die Hauptthese der Studie – Theater durchbreche die symbolische Ordnung der Diskriminierung – in andere Arbeitsbereiche des Theaters zu übertragen. Vor einem Jahr veröffentlichte zeit.de einen Überblick über die Arbeits- und Geburtsorte der „beliebtesten“ Intendant:innen der deutschen Theaterhäuser. Von den genannten 30 Intendant:innen sind vier Frauen. Eine Person von den 30 Intendant:innen ist nicht weiß. Die dominante symbolische Ordnung – das weiße Patriarchat – wird hier wohl kaum auf den Kopf gestellt. Rassismus und Sexismus sind ihre Grundpfeiler. Wir brauchen eine Wissenschaft, die genau diese Tatsache analytisch betrachtet, um die Grundpfeiler zu Fall zu bringen.

Literatur

Ahmed, Sara (2012): On being included. Racism and Diversity in Institutional Life. Durham & London: Duke University Press.

Bourdieu, Pierre (2005): Die männliche Herrschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Jürgen Gerhards, Tim Sawert & Julia Tuppat (2020): Reversing the symbolic order of discrimination: results from a field experiment on the discrimination of migrants and transgender people in theatre, Journal of Ethnic and Migration Studies, DOI: 10.1080/1369183X.2020.1754771 

Palm, Johannes (2019): Woher stammen eigentlich Deutschlands Theaterintendanten? In: Zeit Magazin online, Beitrag vom 18.09.2019. online unter https://www.zeit.de/zeit-magazin/2019/39/theaterintendanten-beliebtheit-deutschlandkarte.

Schmidt, Katharina (2019): Keine Bühne für Rassismus. In: taz online, Beitrag vom 30.06.2019. online unter https://taz.de/Rassismus-am-Theater/!5603768/.

Weheliye, Alexander (2014): Habeas Viscus: Racializing Assemblages, Biopolitics, and Black Feminist Theories of the Human. Duke University Press.