von Margreth Lünenborg, Tanja Maier, Claudia Töpper
Gender Studies und Affect Studies teilen den Blick auf die Herstellung von Macht und Hierarchie und interessieren sich für das relationale Verhältnis von Körpern, Emotionen und Affekt – wenn auch manchmal anhand unterschiedlicher Begrifflichkeiten. Das komplexe Zusammenwirken von Affekten, gesellschaftlichen Diskursen und Ungleichheit und deren mediale Verhandlung rückt in der Kommunikations- und Medienwissenschaft in den Fokus, beispielsweise im Feld der Populärkultur.
Blickt man auf das Reality TV, dann zeigt sich, dass das Aus- und Herstellen von Emotionen für das Genre zentral ist. Neid, Scham, Freude, Mitfiebern, Lästern oder Konkurrenz, inszeniert als so genannte „Zickenkriege“, sind nur einige Beispiele dafür. Es sind zugleich die Körper der Kandidat*innen in der Sendung und die Körper der Zuschauenden, an denen affektive Dynamiken auf beiden Seiten des Bildschirms sichtbar werden. Ob in Germany’s Next Topmodel, der Bachelorette oder Rue Paul’s Drag Race – die Herstellung oder Verschiebung von Geschlecht in und durch Körper ist ein zentrales Movens der Formate. In unserer Forschung zur Zirkulation von Affekten im und durch Reality TV zeigt sich deutlich, wie die Körper der Kandidat*innen rigiden Regeln unterworfen sind: das Zeigen ‚richtiger‘ Empfindungen, die vollständige Verfügbarkeit des eigenen Körpers und seiner Ausdrucksweisen werden zum Postulat professionellen Arbeitens. Doch diese Regeln bleiben nicht auf die Körper der Kandidat*innen beschränkt: Beim Zuschauen affizieren die Gesten und Posen der Fernsehakteur*innen auch die Zuschauenden. Das Imitieren, Kopieren, Ironisieren und Zitieren von Posen und Bewegungen werden zur affektiven Praxis von Zuschauer*innen. Die Normierung von Körpern und körperlichen Ausdrücken, ihre Regulation und Optimierung wird zum Bestandteil einer affektiven Ökonomie, in der die warengleiche Verfügbarkeit von Emotionen zum Normalfall geworden ist.
Die Schönheit und Attraktivität der im Fernsehen gezeigten Körper und die inszenierten Konflikte und Grenzüberschreitungen adressieren auf Seiten des Publikums verschiedene Formen des Begehrens, der Distanzierung und der Abwehr. Exemplarisch stehen dafür begeisterte Fans auf der einen Seite und die Kritiker*in auf der anderen Seite, womit unterschiedliche Formen der Affizierung und differierende affektive Medienpraktiken verbunden sind: vom gemeinsamen Mitfiebern mit den Kandidat*innen über hemmungsloses Lästern bis hin zum „shit storm“ und „hate speech“ vor dem Fernseher oder in vernetzter Onlinekommunikation. In der Aneignung der dargestellten Körper durch das Publikum wird zugleich Gemeinschaft hergestellt: als Gruppe vor dem Fernseher, als Clique, die sich über die Sendung austauscht, aber auch als naserümpfendes Mitglied jener Gruppe, die den trivialen Geschmack ‚der Anderen’ beklagt. Zu diesen Inklusionen gehören also stets auch Exklusionen – die Festlegung derer, die nicht Mitglied der Gemeinschaft sind.
In Zeiten von Migration und Globalisierung rückt die Bedeutung von Geschlecht, Macht und Affekt für Prozesse der Inklusion und Exklusion in den Fokus. Die Gender Studies lenken den Blick auf die damit verbundenen Konstruktionen und Verschiebungen von Geschlecht, Sexualität und Begehren. Damit werden unter affekt- und geschlechtstheoretischer Perspektive die dynamischen, intensiven und machtförmigen sozialen Beziehungen erfasst, die sich zwischen Körpern (menschlichen wie nicht-menschlichen) ergeben. Affektive Dynamiken sind damit immer auch geprägt durch soziale Strukturen und Ordnungen, durch Geschlechterverhältnisse und kulturelle Verortungen.
Mit ihrem Verständnis von Körper und Affekt sind Wissensbestände der Geschlechterforschung wesentliche Grundlage für die Affect Studies. Zugleich gibt der Fokus auf die Dynamik von Affekten als individuelle wie gesellschaftliche Formierung von Macht und Ungleichheit wichtige Impulse in die Geschlechterforschung. Als new materialism eröffnet die Hinwendung zum Körper – dem menschlichen Körper ebenso wie Technologien und Artefakten – analytische Perspektiven für die Geschlechterforschung über Repräsentationen und das Symbolische hinaus. In unserem Teilprojekt „Transkulturelle emotionale Repertoires im und durch Reality TV“ des SFB „Affective Societies“ sind daher Geschlechtertheorien ein integraler Bestandteil der Analyse von Affekt, Medien und Macht.