Mit der zunehmenden Nutzung sozialer Plattformen wie Instagram, Facebook, Twitter, YouTube und TikTok sowohl im privaten wie im kommerziellen, künstlerischen und politischen Bereich entstehen auch neue Star- und Künstler:innenfiguren. Sind Influencer:innen längst zu einem ‚must have‘ der zeitgenössischen Produktwerbung geworden, bringen die Sozialen Medien auch alternative und subkulturelle Öffentlichkeiten hervor und bilden Persönlichkeiten heraus, die ein hybrides Dasein zwischen Werbung, Kunst und Aktivismus führen. Ein solcher Internet-Celebrity ist mit seinen derzeit 479.000 Instagram-Follower:innen auch der 1998 geborene Chella Man (@chellaman).
Er verkörpert in seiner Internetpräsenz nicht nur die gängigen Lifestyle-Narrative der Sozialen Medien, in denen besondere Alltagsmomente wie Essen, Sport oder Reisen festgehalten und fotografisch wie filmisch in Szene gesetzt werden, sondern wirkt auch als Künstler und Aktivist. Denn in seinem Internetauftritt kommen seiner körperlichen Behinderung – er ist seit dem vierten Lebensjahr schwerhörig bzw. taub – und seiner Geschlechtsidentität – er ist genderqueer und trans* – eine zentrale Rolle zu. Im Zentrum seiner Instagram-Beiträge, die modelhafte Posen, Rhetoriken Sozialer Medien und ästhetische sowie performative Inszenierungsstrategien verschwimmen lassen, steht oft Chella Mans teilweise oder gänzlich unbekleideter Körper. Dabei dokumentiert er die Transformation seines Körpers durch die operative Entfernung der Brust und die Hormontherapie, der er sich seit 2017 unterzieht, stellenweise systematisch in seriell und auf Dauer angelegten Postings. So lässt sich beispielsweise sein erster, von seiner Mutter beaufsichtigter und seiner Partnerin, der Fotografin Mary V (@maryv), dokumentierter Testosteron-Shot mitverfolgen. Bis heute streamt er seine regelmäßige Hormoneinnahme live über die Story-Funktion auf Instagram. Nicht nur die Foto- und Videoarbeiten in seiner Timeline, auch die dazugehörigen Captions weisen eine intensive Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper auf, indem sie ostentativ intime Themen wie Gender-Dysphorie, Lust, Begehren, Selbstzweifel, aber auch positive Körpergefühle beschreiben.
Ein Instagram-Beitrag vom 10. Oktober 2018 besteht aus zwei Fotografien, auf denen entsprechend der Caption „Shaving. A one year difference“ der nackte bzw. oberkörperfreie Chella Man mit einem Bart aus Rasierschaum zu sehen ist. Beide Motive zeigen ihn in einem vermeintlich privaten Setting im eigenen Badezimmer. Fotografiert er sich selbst auf dem früheren Foto aus dem Jahr 2017 durch die Spiegelung auf dem Wandschrank mit freiem Oberkörper, steht er ein Jahr später gänzlich entblößt im Türrahmen und schaut unverwandt in die Kamera, als würde er sich gerade dem oder der Fotograf:in zuwenden. Die Fotografien unterscheiden sich aber nicht nur in Bezug auf Bildaufteilung, Pose und Körperdarstellung. Auch Chella Mans Körper selbst lässt in der Anordnung einer Vorher-Nachher-Ansicht wegen der Transition große Veränderungen erkennen. Sein Oberkörper ist auf dem zweiten Bild deutlich muskulöser und weist jeweils eine waagerechte Narbe unter den Brustmuskeln auf.
Screenshot von Instagram https://www.instagram.com/p/BrMCOmNgcFX/ (c) Chella Man Screenshot von Instagram https://www.instagram.com/p/BrMCOmNgcFX/ (c) Chella Man
Auf beiden Fotografien sind die sogenannten Geschlechtsmerkmale, also die weiblich gelesenen Brustwarzen auf dem einen und der Genitalbereich auf dem anderen, zensiert. Dies ergibt sich aus den Gemeinschaftsrichtlinien von Instagram, welche die ‚Darstellung von Nacktheit‘ untersagen. Die Plattform macht entsprechende Beiträge mit Filtern, Meldeanzeigen von User:innen sowie die manuelle Prüfung durch Mitarbeiter:innen ausfindig und entfernt sie gegebenenfalls, wobei der genaue Verlauf der Prüfung und Entscheidungsfindung intransparent bleibt. Diese Praxis des Zensierens von Nacktheit soll die Bereitstellung und Verbreitung pornografischer Inhalte unterbinden. Im Zusammenhang mit der weiblich gelesenen Brust wurde an diesem Mechanismus allerdings oft kritisiert, dass er bestimmte Regionen des weiblichen Körpers tabuisiert und sexualisiert und so bestimmte Inhalte überhaupt erst als pornografisch stigmatisiert (vgl. Byström et al. 2017, S. 15f.). Ebenso wie Körper durch die Zensur der weiblich gelesenen Brustwarzen erotisiert werden, reproduziert diese Praxis auch eine binäre und stereotype Lesart von Geschlecht, die einzelne Körperteile den Sphären des ‚Weiblichen‘ oder des ‚Männlichen‘ zuschreibt. So wird Chella Mans Körper im früheren der beiden Rasier-Bilder als weiblich erkannt und seine Brustwarzen als erotische Körperregionen zensiert. Dieser Zensur liegen Prozesse der algorithmischen Bilderkennung und der geschlechtlichen Zuschreibungen durch Angestellte der Plattformen zugrunde, die die physischen Merkmale eines Körpers mit engen Deutungsmustern umspannen. Das zeigt sich auch daran, dass es sich sowohl bei den zensierten als auch den unzensierten Brustwarzen Chella Mans um dieselben, bei der Operation intakt gebliebenen Körperteile handelt.
Der mediatisierte Körper ist hier folglich in institutionalisierte Regeln, soziale Normvorstellungen privater Personen und Gruppen, technische Umgebungen mit ihren „platform designs and affordances, algorithms, and privacy settings“ sowie Nutzungsvorgaben und -bedingungen eingebunden (vgl. Warfield et al. 2020, S. 6). Die Plattformen Sozialer Medien agieren dabei – anders als der Begriff suggerieren mag – keineswegs neutral (vgl. Gillespie 2010, 358), sondern produzieren vermeintlich eindeutig gegenderte Körper und reproduzieren damit bestimmte Wertvorstellungen und Körpernormen. Diese Praxis von Instagram wird von Chella Man als unbehaglich wahrgenommen und kritisiert. Denn obwohl er sich nach eigener Aussage gerne „stereotypically masculine“ präsentiert und die Pronomen ‚he‘ und ‚him‘ nutzt, lebt er eine genderqueere Geschlechtsidentität, also eine, die sich nicht in der Binarität zweier oppositioneller Geschlechter fassen lässt: „As a genderqueer individual, I view my body without labeling the parts as a specific gender“ (Man 2021, S. 51). Der muskulöse und trainierte Oberkörper Chella Mans und seine seit der Operation flache Brust stellen auch nur auf den ersten Blick eine Anpassung an die Norm dar und stehen in einem komplexen Verhältnis zu stereotypen Männlichkeitsbildern. Gerade seine in vielen Instagram-Beiträgen sichtbaren Operationsnarben beschreibt Chella Man als physische Materialisierung seiner queeren Identität und andauernden Körpertransformation, deren Ziel nicht sei, einfach ein ‚Mann‘ zu sein (vgl. ebd): „The top surgery scars represent me reclaiming my queerness and who I am, essentially, overall“ (Chella Man 2020). Wie Tattoos – ein Vergleich, den Chella Man selbst anführt – versehen sie den Körper mit einer persönlichen Bedeutung und Geschichte, präsentieren eine bewusste, dringliche Entscheidung und markieren die Autonomie über den eigenen körperlichen und geschlechtlichen Ausdruck (vgl. ebd.). Sie bezeugen die ehemaligen Wunden, bleiben als Einschreibung auf dem Körper vorhanden und lassen das Bild binärer Geschlechtlichkeit brüchig werden.
Screenshot von Instagram https://www.instagram.com/p/Bf6EMKQAmZz/ (c) Chella Man
Die Betrachtung und der ostentative Gestus der Präsentation des eigenen nackten, sich in physischer Transformation befindlichen Körpers ist dabei nicht als reine Selbstschau oder narzisstische Zurschaustellung zu verstehen. Chella Mans Beiträge thematisieren ebenso Bedingungen und Möglichkeiten der Inszenierung und Präsentation queerer Körperlichkeiten auf sozialen Plattformen. Denn seine Körperinszenierung gleicht einem “knot in space/time […] deeply entangled with various complex material, discursive, and affective currents flowing through social media and practices of self-mediation” (Warfield et al. 2020, S. 6). Chella Mans Körper entsteht überhaupt erst durch Prozesse der Verkörperung in komplexen sozial-medialen Umgebungen und ist sowohl von Zuschreibungen und Deutungsprozessen als auch dem eigenen Selbstausdruck und der Selbstermächtigung über den eigenen Körper abhängig. Diese Einbettung sorgt zum einen für eine meist ungewollte und durchaus auch gewaltvolle Konfrontation mit Normen, wenn der queere Körper diesen nicht entspricht. Zum anderen kann sie aber auch einen Nährboden zur kritischen Umarbeitung stereotyper Geschlechterbilder bieten (vgl. Hoenes 2014, S. 86); Chella Mans queerer Körper wird nicht nur von User:innen und Mitarbeiter:innen der Plattform sowie den wirkenden Algorithmen gedeutet, er vollzieht in seinem Erscheinen auch selbst Akte der Signifikation.
Literatur:
Abidin, Crystal: Internet Celebrity. Understanding Fame Online, Bingley: Emerald Publishing Limited 2018.
Byström, Arvida; Chris Kraus & Molly Soda: Pics or It Didn´t Happen: Images Banned From Instagram, München: Prestel 2017.
Chella Man: Open Conversation on Disability, Queerness, and Binaries/April 2020, 24.06.2020 [YouTube], https://www.youtube.com/watch?v=wEaBLBuZFt8, 28:41 ff. [letzter Zugriff: 10.07.2021].
Chella Man: Continuum, London: Penguin Workshop 2021.
Gillespie, Tarleton: »The politics of ›platforms‹« in new media & society, 12(3), 2010, 347-364.
Hoenes, Josh: Nicht Frosch – Nicht Laborratte: Transmännlichkeiten im Bild. Eine kunst- und kulturwissenschaftliche Analyse visueller Politiken, Bielefeld: transcript 2014.
Warfield, Katie; Carolina Cambre & Crystal Abidin: Mediated Interfaces: The Body in Social Media, New York, London et al.: Bloomsbury 2020.