Affective societies, affected scientists! 5 Fragen an Thi Quynh-Nhu Tran

In der Interview-Reihe „Affective societies, affected scientists!“ beantworten Neu-Mitglieder, assoziierte Kolleg:innen und Wissenschaftler:innen auf Stippvisite oder mit längerem Aufenthalt im Sonderforschungsbereich „Affective Societies“ Fragen zur Affektivität und Emotionalität in Wissenschaft und Gegenwart. Heute stellen wir die Psychologin und neue wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt A02 vor. Thi Quynh-Nhu Tran arbeitet und forscht in der Spezialambulanz für Vietnamesische Migrant:innen an der Charité Berlin.

Foto: Mario Truong

1.) Welche Forschungsfrage bewegt Sie aktuell?  Worin besteht ihre gesellschaftliche Bedeutung?

Derzeit beschäftige ich mich mit Belastungs- und möglichen Ressourcenfaktoren für Menschen, die in der psychosozialen Versorgung tätig sind. Gerade durch die Pandemie wurde deutlich, wie wichtig Pfleger:innen, Ärzt:innen, Psycholog:innen usw. für das „System“ sind. Doch Formen von Care sind mit hohen affektiven Anstrengungen verbunden, welche ich näher ergründen und sichtbar machen möchte. In unserem Team interessiert uns zudem, welche Rolle die je eigene vietnamesische Migrationserfahrung und/oder die der Patient:innen bzw. Klient:innen für Caregivers spielt. Für mich ist die Erforschung des Themas nicht nur aufgrund der geringen Datenlage interessant, sondern auch, weil ich selbst als Psychologin in diesem Bereich tätig bin und mich zudem als Teil der vietnamesischen Diaspora verstehe.  

2.) Die Relevanz welcher Emotion hat Sie in letzter Zeit überrascht?

Immer wieder merke ich, wie mich die Emotion Wut fasziniert und überrascht. Wut wird so unterschiedlich verstanden, wahrgenommen und gezeigt. Wut entlädt sich bei manchen ganz laut, bei anderen wiederum ganz leise, sodass sie kaum als solche erkannt wird. Wut ist so facettenreich und oft schwer greifbar… Und – Wut lässt sich gar nicht in ein paar Worten zusammenfassen. 

3.) Gibt es ein affektives Movens oder auch affektive Schranken in Ihrer Forschungsarbeit?

Sowohl meine Forschungstätigkeit als auch die therapeutische Arbeit in der Spezialambulanz für vietnamesische Migrant:innen an der Charité geben mir die Möglichkeit, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die mit mir einen ähnlichen Erfahrungsraum teilen. Gerade deswegen werde ich von ihren Geschichten stark affiziert. Dadurch fühle mich im gemeinsamen Erleben verbunden oder auch inspiriert durch die Unterschiedlichkeit unserer Lebensrealitäten. Dies ist eine große Bereicherung für mich, und ich hoffe, dass ich meine Gedanken und Eindrücke durch meine Forschungsarbeit weitertragen kann, um sie anderen ebenfalls zugänglich zu machen. 

4.) Welches Buch hat Sie zuletzt stark affiziert?

Ich lese gerade das Buch Das Drama des begabten Kindes – Eine Um- und Fortschreibung von Alice Miller, das mich an vielen Stellen sehr anregt und berührt. Miller beschreibt auf eine feinfühlige Art und Weise die Bedürfnisse eines Kindes und wie diese im Erwachsenenalter weiterhin eine prägende Rolle spielen können. Das Buch ist nicht nur aus psychotherapeutischer Sicht interessant, sondern auch für alle, die es als Anstoß nehmen wollen, auf Spurensuche nach eigenen tieferliegenden Bedürfnissen zu gehen.

5.) Auf welche Stimmungen und/oder Gefühle würden Sie im Moment gerne verzichten?

Die Frage ist schwierig zu beantworten, denn jedes Gefühl kann mich auch etwas über mich erkennen lassen. Da denke ich zum Beispiel an das Gefühl der Überforderung. Mich überfordert zu fühlen, ist nicht angenehm, und ich würde das Gefühl am liebsten wegzaubern. Doch wenn ich genauer hinschaue, kann mir das Gefühl auch vieles aufzeigen, z.B. dass ich mich mehr ausruhen sollte, dass ich schon viel geleistet habe oder dass ich um Unterstützung bitten sollte, wenn ich sie brauche. Von daher möchte ich auf das Gefühl auch gar nicht verzichten, sondern eher lernen, noch genauer hinzuschauen, um es – und mich – besser zu verstehen.