In der Interview-Reihe „Affective societies, affected scientists!“ beantworten assoziierte Kolleg:innen und Wissenschaftler:innen auf Stippvisite oder mit längerem Aufenthalt im Sonderforschungsbereich „Affective Societies“ Fragen zur Affektivität und Emotionalität in Wissenschaft und Gegenwart. Heute stellen wir die Soziologin und Politikwissenschaftlerin Yvonne Albrecht entlang unserer bewährten 5 Fragen vor. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) der Humboldt-Universität zu Berlin und hat als assoziierte Forscherin unseres Verbundes gemeinsam mit Jan Slaby und Serhat Karakayali die derzeit stattfindende Ringvorlesung Mobility Affects mitorganisiert, im Rahmen derer sie am 3. Februar 2021 selbst einen Vortrag zum Thema Emotionale Transnationalität halten wird.
Welche Forschungsfrage bewegt Sie aktuell? Worin besteht ihre gesellschaftliche Bedeutung?
Mich bewegt derzeit insbesondere die Frage nach emotionaler Transnationalität – also der Beschaffenheit emotionaler Konnektivität von Körpern, Subjekten und Gruppen über nationalstaatliche Grenzen hinweg. In früheren Studien zu Themen der Integration, Identifikation und Zugehörigkeit wird vielfach postuliert, dass eine emotionale Abwendung von Bindungen in den Herkunftskontext notwendig ist, um in den Ankunftskontext ‚integriert‘ zu sein. Im Kontrast dazu interessieren mich die facettenreichen Dynamiken des reziproken Affizierens im Kontext emotionaler Transnationalität, welche affektive Konnektivitäten in unterschiedliche Kontexte nach dem Prinzip der Offenheit fokussiert. Mich interessiert, inwiefern diese auch unterstützend und stärkend auf Interaktionen im Ankunftskontext wirken können
Die Relevanz welcher Emotion hat Sie in letzter Zeit überrascht?
Die partiell neue Intensität von bereits hinlänglich bekannten emotionalen Regungen im Kontext von Corona-Leugner:innen und Verschwörungs-theoretiker:innen birgt immer wieder auch überraschende Momente. Und im Kontrast dazu: Eine breite Basis, die im Kontext von COVID-19 Verzicht übt aufgrund von Empathie für Ältere und Schwächere in der Gesellschaft.
Gibt es ein affektives Movens oder auch affektive Schranken in Ihrer Forschungsarbeit?
Mir ist es ein Anliegen, Affekte, Emotionen, Gefühle dauerhaft und durchaus aus unterschiedlichen sozialtheoretischen Perspektiven in soziologischer Forschung zu verankern. Geschieht dies nicht, ist es – davon bin ich überzeugt – unmöglich, gesellschaftliche Dynamiken adäquat zu verstehen und zu erklären. Sozialität und Affektivität sind untrennbar verwoben – so wie es auch vom SFB „Affective Societies“ postuliert wird. Zudem halte ich es für relevant, die Thematik der Emotionalität künftig systematischer als bisher geschehen in der Transnationalismus-, (soziologischen) Migrations- und Rassismusforschung zu verankern.
Welches Buch hat Sie zuletzt stark affiziert?
Sara Ahmed: On Being Included.
Auf welche Stimmungen und/oder Gefühle würden Sie im Moment gerne verzichten?
Auf rassistische, antisemitische, anti-feministische und verschwörungs-theoretisch inspirierte Stimmungslagen.