Am Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag steht ein Prozess an: Dominic Ongwen, ehemaliger Brigadekommandant der Lord’s Resistance Army (LRA), ist wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen angeklagt. In den frühen 2000er Jahren folterten, massakrierten und entführten LRA Kämpfer*innen unter seinem Kommando zivile Bewohner*innen sogenannter IDP-Camps (IDP steht für Internally Displaced Persons), Zufluchtslager für Binnenvertriebene in Norduganda. Die Massaker bildeten den Höhepunkt der Gewalt in einem Konflikt zwischen der ugandischen Regierung und den LRA Rebell*innen, der bis in die 1980er Jahre zurückreicht. Als die LRA Uganda 2006 verließ, hatte der lange Konflikt bereits tiefe Spuren in Norduganda hinterlassen: Mindestens 25.000 Kinder waren entführt und zwangsweise als Kindersoldat*innen in die Reihen der LRA rekrutiert oder an LRA Kämpfer zwangsverheiratet worden – manche Schätzungen gehen sogar von 50.000 Kindern aus. Zudem waren Millionen Ugander*innen Anfang der 2000er Jahre gezwungen in IDP-Camps zu flüchten. Seit etwa zehn Jahren hat die Gewalt in Norduganda nun ein Ende. Die LRA existiert jedoch noch, allerdings in wesentlich reduzierter Stärke, und ist auf dem Gebiet der Zentralafrikanischen Republik und der Demokratischen Republik Kongo aktiv.
Der Prozess gegen Dominic Ongwen soll am 6. Dezember 2016 in Den Haag beginnen und wir sind nach Uganda gereist, um die Gerechtigkeitsgefühle zu untersuchen, die dort in Bezug auf den Internationalen Strafgerichtshof allgemein und über das Verfahren gegen Dominic Ongwen im Besonderen im Umlauf sind. Wir hatten wie selbstverständlich angenommen, dass viele Gefühle im Spiel sein würden, wenn der Dominic Ongwen-Prozess in Gesprächen aufkommt. Die US-amerikanische Anthropologin Michelle Rosaldo definiert Emotionen als „verkörperlichte Gedanken […] getränkt mit der Spannung: ‚Das geht mich an!’“ (1). Viele in Uganda sind auf die ein oder andere Weise von dem Konflikt in Norduganda persönlich betroffen. Zusätzlich wird der IStGH in Afrika stark dafür kritisiert, dass er bislang nur Verfahren gegen afrikanische Täter*innen angestrengt hat. Ihm wird vorgeworfen, gegen Afrika voreingenommen zu sein. Bei all diesen Rahmenbedingungen, so unsere Annahme, würde die Suche nach den Gefühlen nicht schwerfallen.
Umso überraschter waren wir also, dass sich die emotionalsten Momente, die wir in unseren ersten paar Tagen in Kampala erlebten, nicht auf den in Den Haag angeklagten Kriegsverbrecher bezogen. Wenn wir unsere Gesprächspartner*innen nach Dominic Ongwen fragten, sogar solche die in besonderer Weise politisch interessiert waren, ernteten wir manchmal ein wissendes Nicken, aber scheinbar nur mäßiges Interesse. Noch öfter war die Reaktion ein Stirnrunzeln und ein Moment des Nachdenkens. Wenn wir unseren Gesprächspartner*innen dann auf die Sprünge halfen und angaben, dass es sich dabei um den ehemaligen LRA-Kommandanten handele, der gerade in Den Haag vor Gericht stehe, schienen sich die Leute dann doch zu erinnern: „Ich glaube, darüber habe ich kürzlich was in der Zeitung gelesen“, war die Antwort einer unserer Freund*innen, die für die Einrichtung arbeitet, in der wir untergebracht sind.
Was wir nicht wussten, als wir am 26. September nach Kampala kamen, war, dass dies der Abend vor „der Debatte“ war. Was das heißt, wird uns klar, als wir am späten Vormittag des darauffolgenden Tages einen Abstecher in den Stadtteil Kabalagala machen – ein Viertel, in dem viele Flüchtlinge aus Äthiopien und Eritrea leben, und in dem junge Leute abends gerne ausgehen. Laden- und Cafébesitzer*innen haben Fernsehbildschirme vor ihren Läden aufgestellt, die auf die Straße ausgerichtet sind. Der Ton ist laut eingestellt. Übertragen wird die Fernsehdebatte zwischen der Anwärterin der Demokratischen Partei für das Präsidentenamt der Vereinigten Staaten von Amerika, Hillary Clinton, und ihrem republikanischen Gegenkandidaten, Donald Trump. Zahlreiche Zuschauer*innen folgen der Debatte mit der gleichen gespannten Aufmerksamkeit wie einem der vielen Fußballspiele aus der britischen Premier League, die regelmäßig ausgestrahlt werden.
Trump, der Republikaner und vorgebliche „Self-Made-Millionär“ hatte schon einige Monate zuvor während der Präsidentschaftswahlen in Uganda Schlagzeilen gemacht. Anfang des Jahres wurde der Amtsinhaber Yoweri Museveni zum sechsten Mal wiedergewählt. Der ehemalige Militärkommandeur aus den Zeiten des Bürgerkrieges der 1980er Jahre ist bereits seit 30 Jahren im Amt und damit einer der am längsten amtierenden Staats- und Regierungschefs auf dem afrikanischen Kontinent. Trump kritisierte Museveni nach seiner Wiederwahl wegen dessen Unwillen, das Amt zu räumen, beschuldigte ihn, die Wahlen gefälscht zu haben, und nannte die Ugander*innen „Feiglinge“, weil sie keine Revolte gegen Museveni vom Zaun brachen. Museveni, so Trump, gehöre ins Gefängnis und nicht in den Präsidentenpalast (2). Diese provokanten Reden brachten Trump gewissen Sympathien unter den Gegner*innen Musevenis in Uganda ein.
Am nächsten Tag gehen wir auf den geschäftigen Owino Markt nahe dem großen Taxipark in der Innenstadt Kampalas. Während wir durch die engen Gassen des Marktes wandern, auf dem es alles von Kleidung, über Nahrungsmittel, Gewürze, Elektroartikel bis hin zu Büromaterial zu kaufen gibt, begegnen wir einem jungen Kleidungsverkäufer, der sichtlich aufgebracht eine Zeitung in der Hand hält. Er spricht laut auf Luganda, der Sprache, die, neben Englisch, in Kampala am häufigsten gesprochen wird, und gestikuliert heftig. Es ist offensichtlich, dass er über Politik spricht. Wir hören die Namen Museveni und Besigye. Kizza Besigye, ein ehemaliger Mitkämpfer Musevenis während des Bürgerkrieges, ist der Oppositionsführer in Uganda. Schon drei Mal hat er das Rennen um die Präsidentschaft gegen Museveni verloren.
Ein anderer junger Mann an einem gegenüber liegenden Stand fängt an, mit dem zeitungsschwingenden Kollegen zu diskutieren. Auf einmal fällt das Wort Muzungu, ein Begriff mit dem auf Luganda und einigen anderen Bantusprachen Weiße bezeichnet werden. Weil wir denken, wir könnten gemeint sein, fragen wir nach, was es mit dem Muzungu auf sich habe. Zu unserer Überraschung hatte man uns aber gar nicht gemeint. Der Muzungu, von dem die Rede war, ist Donald Trump. Sofort werden wir in die Debatte verstrickt, schon allein weil Abazungu (pl.) oft ohne Umschweife als US-Amerikaner*innen identifiziert werden. Der junge Verkäufer, der das Thema aufgebracht hat, fragt uns, was denn nun unsere Meinung zum republikanischen Präsidentschaftskandidaten sei. Gezwungen, Farbe zu bekennen, machen wir aus unseren Herzen keine Mördergrube und geben zu, dass wir Trump für einen „crazy guy“ halten. Der junge Verkäufer ist enthusiastisch. Er breitet seine Arme aus und wiederholt in der Pose eines Redners unsere Aussage an die Menge: „Diese Abazungu sagen, dass Trump ein ‚crazy guy’ ist. Wenn er Präsident wird, bekommen wir alle Schwierigkeiten.“ Es branden Jubel und Applaus auf. Jemand ruft „Team Hillary“, ein anderer fügt hinzu „I’m with her“ (einer von Hillary Clintons Kampagnensprüche aus dem Vorwahlkampf).
Ein älterer Verkäufer direkt neben dem jungen Redner ist anderer Meinung. „Präsident der USA zu sein heißt, Präsident der ganzen Welt zu sein. Deshalb geht uns das alle an. Und Trump ist ein guter Typ („a good guy“).“ Eine Frau, die wieder einen Stand weiter Kleidung verkauft, geht dazwischen: „Trump mag uns nicht (vielleicht meint sie Schwarze, vielleicht auch nur allgemein Nicht-US-Amerikaner). Er will uns alle loswerden.“ Der junge Verkäufer, der unsere Trump-Kritik an die Menge deklamiert hatte, öffnet seine Hände um einzuschlagen. „Sind wir Team Hillary?“ Wir schlagen ein und stimmen zu: „Wir sind Team Hillary“. Einige applaudieren wieder. Als wir weiterziehen, ist die Diskussion längt noch nicht am Ende.
Wir denken über den Trump-Unterstützer auf dem Owino Markt nach, der meinte, Donald Trump sei ein „good guy“. Unsere erste Idee ist, dass Trump nach seiner Stellungnahme gegen Museveni das Land gespalten hat: diejenigen, die zu Museveni halten, sind gegen Trump; diejenigen, die Museveni loswerden wollen, und seinen Gegner Kizza Besigye unterstützen, könnten eher geneigt sein, auf Trumps Seite zu stehen. Aber beim näheren Hinsehen scheint die Sache doch komplizierter zu sein. Trump repräsentiert einen Politikertypus, der unverhohlenes Selbstlob über seine ökonomischen Erfolge mit einer sozialpopulistischen Rhetorik verbindet. Während der republikanischen Vorwahlen in den USA sendete der Moderator der beliebten Fernsehsendung „The Daily Show“, der Südafrikaner Trevor Noah, einen Clip, in dem er behauptet, Trump sei wie ein afrikanischer Präsident (3). Darin stellt er Zitate von Donald Trump neben die von afrikanischen Politikern wie Muhamar Al-Ghadafi, Idi Amin, Jacob Zuma und auch Yoweri Museveni. Die Ähnlichkeiten in der Rhetorik sind frappierend. Auch das Image des Self-Made-Millionärs scheint bei vielen Ugander*innen gut anzukommen. „Wie Sie schnell reich werden“-Ratgeber sind in Uganda Bestseller und Trump hat mehrere solcher Bücher verfasst. Als wir durch die Innenstadt Kampalas schlendern, finden wir Trumps Bücher besonders prominent an den vielen Bücherständen ausgestellt, die auf den Bürgersteigen aufgebaut werden. Donald Trump verkauft sich in Uganda.
Aber es scheint noch einen weiteren Grund zu geben, warum die Scheidelinie für und gegen Trump nicht einfach mit derjenigen für und gegen Museveni gleichgesetzt werden kann. Wir führen ein langes Gespräch über ugandische Politik mit einer 19-jährigen Schülerin, die gerade ihr letztes Schuljahr beendet. Als wir sie auf Trump ansprechen, lacht sie herzhaft. „Wenn Trump Museveni loswerden will, dann ist das ja schon einmal ein Pluspunkt für ihn“, merkt sie augenzwinkernd an. „Also bist Du für Besigye?“, fragen wir sie zurück. „Besigye mag ich auch nicht“, antwortet sie „es sollte jemand anderes sein“. Wir vermuten, dass viele jüngere Leute ähnlich empfinden und sich wünschen, dass sich die Elite des Landes nach 30 Jahren verändern muss. Sie soll sich verbreitern und über die alten Kriegshelden aus den 1980er Jahren hinausgehen. Als wir sie nach personellen Alternativen fragen, nennt sie eine Reihe von Namen, die wir alle nicht kennen. Vielleicht werden wir von einigen in der Zukunft etwas hören.
Nach nur ein paar Tagen in Kampala nehmen wir den Bus Richtung Norden nach Gulu. In Norduganda sind mehr Menschen direkt von der Gewalt während des Konfliktes persönlich betroffen als in der Hauptstadt und wir vermuten, dass dort das Interesse an Dominic Ongwens Strafprozess und auch die emotionale Verstrickung deutlicher erkennbar werden. Die Fahrt dauert mehrere Stunden, doch bevor wir von einem der größeren Busbahnhöfe in der Innenstadt losfahren können, müssen wir warten bis der Bus voll besetzt ist. Während wir auf die Abfahrt warten, stürmen Dutzende von mobilen Warenverkäufer*innen den Bus, um Essen, mobile Akkus, Kleidung, Kopfhörer und andere Dinge anzubieten. Auch ein Buchverkäufer erscheint. Er bietet uns „Things Fall Apart“ des bekannten nigerianischen Schriftstellers Chinua Achebe an. Wir lehnen dankend ab. Während er weiterzieht werfen wir einen Blick auf seine Auslage. Auch im Angebot: „How to Get Rich“ von Donald Trump.
Literatur
(1) Rosaldo, Michelle (1984). Toward an Anthropology of Self and Feeling. Culture Theory: Essays on Mind, Self, and Emotion. R. A. Shweder and R. A. LeVine. Cambridge, Cambridge University Press: 137-149.
(2) Sekyewa, Edward Ronald (2016) Uganda und die US-Wahlen: Trump gegen Museveni Online auf journafrica.de.
(3) Noah, Trevor (2015). Donald Trump: America’s African President – YouTube. The Daily Show on Comedy Central.
Autor:innen
Jonas Bens ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter (PostDoc), Leonie Benker ist Studentische Mitarbeiterin im Teilprojekt B04 „Gerechtigkeitsgefühle und Transitional Justice“.