Trump und der Sexismus – Für eine neue Politik der Solidarisierung. Teil II

© Michael Vadon, CC BY 2.0, https://www.flickr.com/photos/80038275@N00/31563869231, cropped version

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Dezember 2016.[1]

Im ersten Teil dieses Essays hat der Autor vorgeschlagen, Trumps Wahlerfolg nicht einfach durch Protestwahlverhalten zu erklären, sondern durch eine positive Identifikation von Wähler*innen mit Trump: Einer Identifikation auf Grundlage gemeinsamer Demütigungserfahrungen, in der die politischen und persönlichen Ächtungen, die Trumps Kampagne begleiteten, mit der sozioökonomischen Gewalt- und Ohnmachtserfahrung bestimmter WählerInnen der Unter- und Mittelschicht resonieren können. So wurde deutlich, dass Trump’s ‚Attraktivität‘ vielleicht weniger auf Ebene politischer Sachargumente, als in seiner Haltung zum politischen Betrieb zu fassen ist.

Anti-Sexismus und awareness-Politik

Ohne in das überstrapazierte Thema eines möglichen ‚Versagens‘ der Linken als Mitursache für den heraufkommenden Rechtspopulismus westlicher Gesellschaften einstimmen zu wollen, möchte ich an die vorangegangene Analyse nun die Frage anschließen, welche Konsequenzen sich daraus für eine links-demokratische politische Praxis ergeben könnten. Damit wird zugleich der Blick gewendet, von der Rede über Trump und seine Wähler*innen hin zur Rede politisch aktiver Menschen über sich selbst. Um direkt auf einen kontroversen Punkt zuzusteuern, möchte ich eine Diskussion darüber anregen, was der Mechanismus der fatalen Identifizierung in Scham und Demütigung speziell für die Wirkung anti-sexistischer und anti-rassistischer Sprach- und awareness-Politiken bedeuten könnte. Zum Beispiel geht es um die Frage, ob die empörte öffentliche Reaktion auf die verbreitete Audioaufnahme mit Donald Trumps sexistisch-chauvinistischen Prahlereien gegenüber Billy Bush[2] seinem Wahlkampf vielleicht mehr genützt als geschadet haben könnte.

Zunächst ist klar: diese Aufnahme liefert einen pointierten Beleg für Trumps charakterlich tief verankerte Verachtung für Frauen, für seine reaktionäre soziale Weltsicht und ein Exempel von Männerbündigkeit, das durch die apologetische Formel „locker room talk“ nochmal bestätigt wurde. Dennoch ist die Frage, ob es nicht erfolgreicher gewesen wäre, dies kurz aber klar auszusprechen, anstatt einen globalen Wutschrei der Empörung daraus zu machen. Dies war nämlich ein Schrei, der von Beginn an zu künstlich und sensationalisierend war – denn wer für diese Einsicht prinzipiell empfänglich ist, hatte zu diesem Zeitpunkt des Wahlkampfs längst verstanden, dass Trump ein Sexist ist. Und so hat die Echokammer der Sexismus-Empörungen, in der viele Leitmedien und linke politische Stimmen für einige Tage wie gebannt waren, doch vor allem der eigenen Ohnmacht eine gewaltvolle Massenresonanz gegeben. Die sozialkritisch-emanzipatorischen Diskurse um gender-Diskriminierung und sexual harassment, die sich der enormen historischen Leistung des Sichtbar- und Artikulierbarmachens struktureller Gewalt und gegensteuernder gesellschaftlich-politischer Forderungen rühmen können, wurde hier unversehens als Vehikel eines kollektiven Wutausbruchs und moralischer Ächtungen missbraucht.

Dieser Modus einer Diskussion, die kaum mehr Neues sichtbar machen konnte und wegen der Befangenheit ihrer Akteure in Empörung eine Politisierung des Falls eher verhinderte als förderte, hat meines Erachtens großen Schaden angerichtet: Die moralische Ächtung im Fall des groping tapes hat die meisten der Empörten nämlich blind dafür gemacht, dass Trump selbst mit diesen Ächtungen kaum getroffen wurde, wohl aber solche Wähler*innen, für die der Feminismus bedauerlicherweise schon immer nur ein Schimpfwort war. Entlang der oben beschriebenen Struktur der fatalen Identifizierung lässt sich nachvollziehen, dass jeder einzelne Sexismus-Schrei, der sich eigentlich gegen Trump richtete, viel mehr diejenigen Menschen traf, die im Geheimen ihre eigene Welt so wahrnehmen, dass Trumps ‚Lebensweisheiten‘ über sexuelle Kontaktaufnahmen tatsächlich ihrer sozialen Realität entsprechen. So viel sozialer Realismus muss sein: Eine solche milieu-situierte Weltsicht, eine solche Sozialisation, ein solches Funktionieren der Geschlechterverhältnisse ist leider in einigen Umfeldern ziemlich real, und sie bringt Subjekte hervor, die diese Welt als ihre Welt leben müssen und diesen Interaktionsmustern ausgesetzt und verhaftet sind. Wie z.B. Didier Eribons aktuell viel debattierter Essay[3] erkennen lässt, schürt die öffentliche Moralisierung und Skandalisierung solcher Verhältnisse aus einer privilegierten Position kontraproduktiverweise bloß die Gefühle von Scham und Demütigung betroffener Subjekte und Milieus. Die Empörung über Sexismus zieht dann über zahlreiche strukturell davon betroffenen Menschen hinweg und bringt sie eher gegen den kritischen Diskurs auf als sie mitzureißen.

Ich spreche hier weniger von den Reaktionen solcher Männer, die sich in Geschlechterbeziehungen schon immer wie Donald Trump verhalten und in ihm jetzt einen Helden mit dem nötigen „Mut zur Wahrheit“ sehen. Ich beziehe mich allgemeiner auf solche Menschen, die – egal in welcher gender-Rolle – alltäglich sexistischen Verhältnissen ausgesetzt sind und diesen durch einen lock-in Effekt ihres sozialen Umfelds auch zunächst ausgesetzt bleiben. In solchen Fällen ist es nachvollziehbar, dass ein gender-Diskurs in dem Moment zur hegemonialen Moral wird und auf Gegenreflexe stößt, wenn er zum Vehikel massenmedialer, aus überlegener Position artikulierter Ächtungen wird, anstatt den Betroffenen selbst als Waffe der selbstbestimmten Artikulation und Entgegnung anvertraut zu sein. Wendy Browns Konzept der wounded attachments kann auch in dieser Situation helfen, die leidenschaftlich-fatale Bindung an die eigenen sozialen Verhältnisse begreifbar zu machen, die eben auch dann besteht, wenn sie nicht Lust sondern Leid bedeutet – und das kann auch Menschen in konventionell heterosexuellen, patriarchalischen Umfeldern betreffen. Eine solche Bindung an die soziale Funktionsweise eines Milieus und die darin konstituierten Identitäten kann jedenfalls nicht gelöst werden, indem die Macht, sich zu entsetzen, den Betroffenen entrissen und von wortführenden Stellvertreter*innen übernommen wird.

Jenseits der Identitätspolitik: Für eine neue Politik der Solidarisierung

Diese Überlegung ist eine der möglichen Konsequenzen, die speziell eine linke Politik aus der Trump-Wahl ziehen könnte. Dabei kommt es mir auch auf den strategischen Punkt an, dass linke politische Akteur*innen die Einwände gegen das Zur-moralischen-Gewalt-Werden der political correctness nicht den Stimmen von CDU, CSU und AfD überlassen sollten.[4] Es ist dringend erforderlich, einen Kampf gegen Xenophobie, Rassismus und Sexismus gleichberechtigt mit einem Kampf gegen Klassenunterdrückung und sozioökonomische Formen von Gewalt zu verbinden, um nicht die klassische Klientel linker Politik an die rechten Parteien zu verlieren. Dem rechten Lager fällt es leicht, die „populären Klassen“[5] auf Kosten von Feminismus und Antirassismus anzusprechen. Das ist für sie deshalb besonders einfach, weil sie ihre Position über ein antagonistisches Ressentiment (gegen Antisexismus und Antirassismus) definieren können, anstatt positive Begriffsprägungen und emanzipatorische Diskurse in Bezug auf sozioökonomische Gewalterfahrungen anstrengen zu müssen. Dass diese beiden großen sozialkritischen Grundstoßrichtungen – Kampf gegen identitätspolitische und Kampf gegen ökonomische Diskriminierung – nicht auseinanderdriften, sondern in einer breiten Solidarisierung integriert werden, sollte das wichtigste Ziel und Alleinstellungsmerkmal linker Politik sein. Wer, wenn nicht eine linke Bewegung, wird es verhindern, dass sich – wie derzeit sichtbar – zwei eigentlich doch solidarisierungsfähige emanzipatorische Anliegen gegenseitig zerfleischen?

Carolin Emcke formulierte am 27.11.2016 im Gespräch mit Didier Eribon:[6] Es gelte, in eine Diskussion zu finden, die Verteilungsfragen nicht gegen Artikulationschancen ausspiele. Auch wenn das treffend klingt, ist ein entscheidender Punkt aber doch, dass Artikulationschancen nicht allein Gegenstand, sondern selbst die Voraussetzung der Teilhabe an einer Diskussion sind. Eribon weist in diesem Sinne zurecht darauf hin, dass die Mobilisierung der populären Klassen keine bloße (Um-)Verteilungsfrage ist, sondern sich erstens auf die Schaffung von Artikulations- und Anerkennungschancen und zweitens auf die Aktivierung und Einbindung der Betroffenen in den Diskurs richten muss.[7] Ganz ähnlich wie im Fall des Feminismus bedeutet das die Schaffung oder Rehabilitation eines passenden Vokabulars für die sozioökonomischen Gewalt- und Demütigungserfahrungen von Mitgliedern populärer Klassen. Erneut geht es also um eine selbstbestimmte Arbeit des Sichtbar- und Artikulierbarmachens gesellschaftlicher Missstände und Forderungen in einem Feld, wo aktuell viel Wut und Hass vorzufinden ist, viele Ressentiments, viele sexistische und xenophobe Verschiebungen von Wut auf Sündenböcke. Dass hingegen aktuell sehr wenig passendes Vokabular für eine neue Thematisierung der sozioökonomischen Klassenverhältnisse zur Verfügung steht, liegt nicht zuletzt auch daran, dass dieses Vokabular in den letzten 40 Jahren durch die neoliberale Vereinnahmung einiger linker Stimmen und durch die Drohkulisse des Kalten Krieges systematisch diskreditiert und abgebaut wurde.[8]

Weil die Entstehung einer solchen Artikulationspraxis nur unter großflächiger Einbeziehung der Betroffenen selbst erfolgreich sein kann, beginnt das Projekt der Verbindung von Verteilungs- mit Anerkennungsfragen bereits im Kleinen, auf der Ebene lokaler politischer Begegnungen und der Gestaltung von Räumen für politischen Austausch. Und das hat mitunter unmittelbare praktische Konsequenzen für die Akteur*innen linker politischer Bewegungen. Denn es kann für jede*n einzelne*n bedeuten, einen gewichtigen politisch-ethischen Konflikt zu umarmen: Einige der Menschen, die es entlang der Achse sozioökonomischer Gewalterfahrungen zu mobilisieren gilt, sind entlang der Achsen Anti-Rassismus und Anti-Sexismus aktuell nicht positiv ansprechbar; vielleicht erscheinen sie sogar im persönlichen Umgang schwer erträglich, wenn sie die awareness- und Sprachpolitiken linker Räume nicht beachten.

Daran zeigt sich, dass sich das Problem einer Ausspielung von Verteilungs- und Artikulationschancen schon in der Mikropolitik der Interaktionsformen und situativen Rahmungen politischer Begegnungen stellt. Vielleicht fordert es auch eine neue Auseinandersetzung mit der Macht der Sprache heraus, nämlich in Gestalt der Frage, ob die Sprachlichkeit des eigenen Milieus im Fall einiger – gleichwohl nicht aller – linker Räume nicht aktuell die Tendenz besitzt, zu einem Kodex moralischer Identitätsbeweise zu werden. Wenn Mitglieder der ‚populären Klassen‘ in politische Gruppen und Diskussionen eingebunden werden sollen, deren Fokus zuletzt verstärkt auf dem Kampf gegen Rassismus und Sexismus lag, dann ist erneut zu bedenken, wie schwer oder leicht es tatsächlich ist, in den vorhandenen Räumen dieser Debatten zu sprechen; wie leicht es passieren kann, dass darin so manch ein argloser Sprechversuch fortlaufend in Fettnäpfchen tritt.

Natürlich ist Sprache eine gewaltvolle strukturelle Ebene u.a. der geschlechtlichen und rassistischen Diskriminierung in vielen gesellschaftlichen, politischen und sozialen Situationen. Und es passiert leider ziemlich häufig, dass es Menschen gibt, die bestimmte sich als inklusiv und offen verstehende politische Räume (z.B. lokale Diskussionsgruppen oder Aktiventreffen) aufsuchen, um ihren Ressentiments freien Lauf zu lassen und zu sagen, was ihrer Meinung nach „ja wohl mal gesagt werden darf“. Es geht mir nicht darum, das hinzunehmen oder zu legitimieren – dennoch muss aber die Verschiebung vom Politischen ins Moralische diskutiert werden, die gegenwärtig häufig zu beobachten ist: Wenn eine bestimmte Sprache zum moralischen Code der legitimen Zugehörigkeit zu einem politischen Raum oder Milieu wird, kehren sich situativ nämlich die Gewaltverhältnisse um. Die im Zusammenhang mit der Sprache betrachtete Diskriminierungsfrage wird dadurch unwillentlich entpolitisiert (weil sie nicht mehr auf ihre politischen und strukturellen Mechanismen befragt wird) und ins Moralische verschoben. Zugleich werden bezüglich der am Diskurs des Raumes beteiligten Menschen Ein- und Ausschlüsse produziert, die eigentlich politisch reflektiert werden sollten.

Wie also können politisch links orientierte Menschen anstatt der immer häufiger antreffbaren Blockwartmentalität zu einer Praxis ihrer anti-sexistischen und anti-rassistischen Grundeinsichten finden, die es ihnen dennoch erlaubt, auf Augenhöhe auch Subjekte aus rassistischen und sexistischen Milieus anzusprechen, zu adressieren und zu hören? Auch das ist nun eine Frage der Haltung, des êthos, – in der politischen Praxis, in der Gesprächskultur politischer Räume. Auch in der Selbstreflexion des politischen Handelns tritt hier die zuvor anhand von Trump thematisierte Dimension des êthos auf den Plan: Was heißt es heute, links zu sein? Nicht als eine Ideologie oder ein Katalog politischer Forderungen, sondern einmal in der ethischen Dimension betrachtet, in Bezug auf die Art und Weise, sich in die politische Begegnung hineinzuhalten?

In diesem Sinne möchte ich mit einem Vorschlag zur Diskussion schließen. Vielleicht kann eine Solidarisierung zwischen Menschen, die durch sozioökonomische Gewalt diskriminiert werden, und Menschen, die entlang der Strukturen gender oder race diskriminiert werden, dadurch erreicht werden, der/dem jeweils anderen mit der Haltung eines hypothetisch-wohlwollenden Grundvertrauens zu begegnen: Wenn ein Mensch nach unten tritt, sich in Hass und Demütigung gegenüber vermeintlich Unterlegenen ergeht, dann verraten sich darin Gewalt und Demütigung, die dieser Mensch (und sein Milieu) vielleicht ein Leben lang selbst vom jeweiligen „oben“ seiner gesellschaftlichen Stellung erfährt. Der Rassismus und Sexismus der populären Klassen ist konstitutiv verknüpft mit der sozioökonomischen Stellung dieser Klassen. Deshalb ist es auf der Ebene persönlicher Begegnungen doppelt demütigend, wenn eine moralisierende Haltung gegenüber Rassismus und Sexismus eine implizite Zutrittsvoraussetzung kritischer Diskurse ist, die für mehr soziale Gerechtigkeit kämpfen.

Diese sozialpsychologische Hypothese liefert schließlich auch einen inhärenten Grund dafür, warum der Kampf gegen sozioökonomische Unterdrückung mit dem Kampf gegen Alltagssexismen und -rassismen verzahnt werden kann und muss: Beide Formen der Diskriminierung stützen sich nämlich wechselseitig; sie gehen in vielen Fällen auf eine gemeinsame sozioökonomische Ursache zurück – und für diese gilt es, ein neues Vokabular des sozialen Klassenkampfes zu finden.


1 Dieser Essay ist in bearbeiteter Form zuerst in zwei Teilen erschienen in Berliner Gazette, 20.01./10.02.2017.

2 Vgl. David A. Fahrenthold, Trump recorded having extremely lewd conversation about women in 2005, in: „The Washington Post“, 8.10.2016, http://wapo.st/2dSXbkQ

3 Didier Eribon, Rückkehr nach Reims. Berlin 2016. Vgl. auch die Besprechung von Dirck Linck, „Die Politisierung der Scham.“, in Merkur 70 (808), 2016.

4 Dazu hat sich prompt z.B. Ursula von der Leyen angeboten, vgl. das Interview in „Der Spiegel“ 48/2016.

5 Populäre Klasse(n) ist eine offene und vorläufige Begriffsbildung zur Bezeichnung einer sozialen Gruppe, die sozioökonomische Erfahrungen von Gewalt, Demütigung, Unsicherheiten, Prekarisierung teilen. Vgl. auch Eribon, Rückkehr nach Reims, a.a.O. Wie ich unten argumentiere, ist es gerade Teil des Problems, dass ein passendes und allgemein akzeptiertes Vokabular für soziale Klassen aktuell nicht existiert und erst wieder gebildet werden muss.

6 Streitraum: Grenzen der Herkunft, Grenzen der Scham. Carolin Emcke im Gespräch mit Didier Eribon. Schaubühne am Lehniner Platz, Berlin am 27.11.2016.

7 Genauso ist natürlich der Feminismus kein alleiniger Kampf um Artikulationschancen, sondern auch um Verteilungsgerechtigkeit in vielen Dimensionen.

8 Vgl. Eribon, Rückkehr nach Reims, a.a.O., sowie Philip Mirowski, Untote leben länger, Berlin 2015.